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disKURSwechsel :: kultur

An unser Publikum

Redebeitrag und Entwurf einer Resolution, 3.Oktober 2003
Protestkundgebung „Theaterland wird abgebrannt?“ im Berliner Schiller-Theater
von Frank-Patrick Steckel
Aufgrund der fortgeschrittenen Zeit konnte der Text nicht verlesen werden.

 



An Sie, unser Publikum richten wir die Bitte, uns einen Moment lang Aufmerksamkeit zu schenken, auch wenn wir in diesem Moment nicht spielen, nicht tanzen, nicht singen.

Wir wenden uns an Sie in der Hoffnung, dass Sie es uns nicht verübeln, wenn wir Sie in dieser nicht künstlerischen Weise ansprechen. Nur scheinbar wird das Kunstwerk, dass Sie betrachten möchten, durch diesen Vorgang beschädigt. In Wahrheit dient er seinem Erhalt.

Ihnen, unserem Publikum, wollen wir auf diesem Wege sagen, dass wir die öffentliche Förderung von Kunst und Kultur nicht nur in Deutschland, sondern in ganz Europa, ja, weltweit bedroht sehen. Bedroht von einer Entwicklung, die den Menschen in wachsendem Maße ausschließlich unter kaufmännischen Gesichtspunkten betrachtet.

Menschliche Wesen werden bedenkenlos als Verbraucher etikettiert, als Arbeitnehmer, als Arbeitslose, als Ich-AGs und Niedriglohnempfänger. Nur noch eine Kategorie soll es sein, welche an ihnen zählt: die ökonomische. Solchermaßen in ihrem Selbstverständnis reduziert, genügen simple Wirtschaftslügen wie die vom Wachstum oder der Rückkehr der Vollbeschäftigung, um die Menschen in einen apathischen Erwartungszustand zu versetzen.

Jedes Auftreten eines Tänzers/Schauspielers/Sängers auf einer Bühne stellt aber die Frage nach dem, was in der menschlichen Gesellschaft mit Menschen geschehen ist und geschieht, nach dem, was das denn sei: ein Mensch. Ohne das Bewusstsein dieses Zusammenhangs kann der Auftritt weder gestaltet noch aufgefasst werden. In der Theaterkunst sind ästhetische Positionen ohne ethische Reflexionen nicht zu haben.

Der omnipotente Markt versagt, wie anderswo, so auch hier: die Nachfrage entspricht im Großen und Ganzen leider nicht der Bedeutung des Angebots. Das Angebot wird daher, hier wie anderswo, wenn auch wesentlich bescheidener als anderswo, subventioniert.

Damit soll nun aufgeräumt werden. Die langen Messer sind gezückt: sie sollen die berüchtigten "Einschnitte", mit denen bereits das soziale Netz zerfetzt wird, nun auch im Fleisch von Kunst und Kultur ansetzen.

Die Ökonomie greift Kunst und Kultur überall dort an, wo sie sich ihrer nicht erfolgreich, will sagen gewinnträchtig, bemächtigen kann. Ob Kindergärten, Schulen, Universitäten, Jugendheime, Museen, Versicherungssysteme, Schwimmbäder, Bibliotheken oder Theater: was keinen Profit macht, wird in Mitleidenschaft gezogen. Eines der reichsten Länder der Erde taumelt im Sparwahn. Der selbst verschuldeten Verarmung der Öffentlichen Hand steht die ungeheuerliche Vermehrung privaten Wohlstands in wenigen Händen gegenüber. Alle Versuche jedoch, die wirtschaftliche Funktionselite – durch eine jahrzehntelange Begünstigungspolitik - zu nachhaltiger sozialer Verantwortung zu erziehen, müssen als gescheitert gelten. Artikel 14, Absatz 2 des Grundgesetzes lautet aber: "Eigentum verpflichtet. Sein Gebrauch soll zugleich dem Wohle der Allgemeinheit dienen."

Die Abwälzung der menschlichen, sozialen und ökonomischen Verantwortung für die aus dem privat organisierten Produktionsprozess Ausgeschiedenen auf jenen Teil der Gesellschaft, der an den steigenden Gewinnen so wenig Anteil hat wie die Ausgeschiedenen selbst, dafür aber alle Kosten trägt, diese weithin akzeptierte asoziale Anordnung (wird entlassen, steigen die Börsenkurse) leert nicht nur die Gemeindekassen, sondern raubt auch dem Theater seine Basis, den gesamtgesellschaftlichen Konsens.

Theater ist der zutiefst provinzielle Ort, an dem öffentlich von menschlichen Handlungen die Rede ist. Der globalisierte Warenhandel jedoch will nur noch eine Handlung von Bedeutung anerkennen: die des profitablen Kaufens und Verkaufens. Theater ist, als nur und ausschließlich von Menschenfragen handelnde Kunst, ein rückständiges, ein unökonomisches Hindernis auf dem Weg der profitorientierten, knallhart kalkulierenden Fortschrittspropagandisten.

Schon versuchen Theatermacher hier und da, das Effizienzmodell der Marktlenker zu übernehmen. Kunst dient sich den herrschenden Verhältnissen an, übernimmt mit dem Hinweis auf die nun einmal nicht änderbare Situation Quotendenken, Unterhaltungsideologie und Marktdruck. Wer aber nicht mehr daran glaubt, dass Verhältnisse, von Menschen gemacht, von Menschen verändert werden können, wem die Erfahrung des Einzelnen nichts mehr gilt, wer Kunst als Möglichkeit sieht, von der Wirklichkeit nicht reden zu müssen, wer Unterhaltung als Bemühung versteht, das Publikum von sich selbst abzulenken: der schafft ein Theater von innen her ab, ganz gleich, wie bunt es sich äußerlich darstellen mag.

Die gesellschaftlich sanktionierte Geringschätzung des Menschen entzieht noch der eitelsten und scheinbar erfolgreichsten Theaterarbeit die Grundlage. Sie schafft die Voraussetzungen für Etatkürzungen und Schließungen. An die Stelle der Theaterarbeit, die eine Arbeit am Menschen ist, tritt das Kulturbetriebsereignis für Bessergestellte. Festivalglanz überflimmert das soziale, das kulturelle Elend. Das Theater aber steht auf der Seite der Vergessenen, der Bedrohten, der Nutzlosen, all derer, die in den offiziellen Rechnungen nicht vorkommen.

Daran sollten wir uns erinnern, wenn wir Theatermacher, in diesen bedrohlichen Zeiten, uns fragen, was wir Ihnen, unserem Publikum, noch zu erzählen haben. Wir danken Ihnen für Ihre Geduld.

Text im PDF-Format:
An_unser_Publikum.pdf

Posted: Fr - Oktober 3, 2003 at 06:41 nachm.  
   
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