An
Sie, unser Publikum richten wir die Bitte, uns einen Moment lang Aufmerksamkeit
zu schenken, auch wenn wir in diesem Moment nicht spielen, nicht tanzen, nicht
singen.
Wir wenden uns an Sie in der Hoffnung, dass Sie es uns nicht
verübeln, wenn wir Sie in dieser nicht künstlerischen Weise
ansprechen. Nur scheinbar wird das Kunstwerk, dass Sie betrachten möchten,
durch diesen Vorgang beschädigt. In Wahrheit dient er seinem
Erhalt.
Ihnen, unserem Publikum, wollen wir auf diesem Wege sagen,
dass wir die öffentliche Förderung von Kunst und Kultur nicht nur in
Deutschland, sondern in ganz Europa, ja, weltweit bedroht sehen. Bedroht von
einer Entwicklung, die den Menschen in wachsendem Maße ausschließlich
unter kaufmännischen Gesichtspunkten betrachtet.
Menschliche
Wesen werden bedenkenlos als Verbraucher etikettiert, als Arbeitnehmer, als
Arbeitslose, als Ich-AGs und Niedriglohnempfänger. Nur noch eine Kategorie
soll es sein, welche an ihnen zählt: die ökonomische.
Solchermaßen in ihrem Selbstverständnis reduziert, genügen simple
Wirtschaftslügen wie die vom Wachstum oder der Rückkehr der
Vollbeschäftigung, um die Menschen in einen apathischen Erwartungszustand
zu versetzen.
Jedes Auftreten eines
Tänzers/Schauspielers/Sängers auf einer Bühne stellt aber die
Frage nach dem, was in der menschlichen Gesellschaft mit Menschen geschehen ist
und geschieht, nach dem, was das denn sei: ein Mensch. Ohne das Bewusstsein
dieses Zusammenhangs kann der Auftritt weder gestaltet noch aufgefasst werden.
In der Theaterkunst sind ästhetische Positionen ohne ethische Reflexionen
nicht zu haben.
Der omnipotente Markt versagt, wie anderswo, so auch
hier: die Nachfrage entspricht im Großen und Ganzen leider nicht der
Bedeutung des Angebots. Das Angebot wird daher, hier wie anderswo, wenn auch
wesentlich bescheidener als anderswo, subventioniert.
Damit soll nun
aufgeräumt werden. Die langen Messer sind gezückt: sie sollen die
berüchtigten "Einschnitte", mit denen bereits das soziale Netz zerfetzt
wird, nun auch im Fleisch von Kunst und Kultur ansetzen.
Die
Ökonomie greift Kunst und Kultur überall dort an, wo sie sich ihrer
nicht erfolgreich, will sagen gewinnträchtig, bemächtigen kann. Ob
Kindergärten, Schulen, Universitäten, Jugendheime, Museen,
Versicherungssysteme, Schwimmbäder, Bibliotheken oder Theater: was keinen
Profit macht, wird in Mitleidenschaft gezogen. Eines der reichsten Länder
der Erde taumelt im Sparwahn. Der selbst verschuldeten Verarmung der
Öffentlichen Hand steht die ungeheuerliche Vermehrung privaten Wohlstands
in wenigen Händen gegenüber. Alle Versuche jedoch, die wirtschaftliche
Funktionselite – durch eine jahrzehntelange Begünstigungspolitik - zu
nachhaltiger sozialer Verantwortung zu erziehen, müssen als gescheitert
gelten. Artikel 14, Absatz 2 des Grundgesetzes lautet aber: "Eigentum
verpflichtet. Sein Gebrauch soll zugleich dem Wohle der Allgemeinheit
dienen."
Die Abwälzung der menschlichen, sozialen und
ökonomischen Verantwortung für die aus dem privat organisierten
Produktionsprozess Ausgeschiedenen auf jenen Teil der Gesellschaft, der an den
steigenden Gewinnen so wenig Anteil hat wie die Ausgeschiedenen selbst,
dafür aber alle Kosten trägt, diese weithin akzeptierte asoziale
Anordnung (wird entlassen, steigen die Börsenkurse) leert nicht nur die
Gemeindekassen, sondern raubt auch dem Theater seine Basis, den
gesamtgesellschaftlichen Konsens.
Theater ist der zutiefst
provinzielle Ort, an dem öffentlich von menschlichen Handlungen die Rede
ist. Der globalisierte Warenhandel jedoch will nur noch eine Handlung von
Bedeutung anerkennen: die des profitablen Kaufens und Verkaufens. Theater ist,
als nur und ausschließlich von Menschenfragen handelnde Kunst, ein
rückständiges, ein unökonomisches Hindernis auf dem Weg der
profitorientierten, knallhart kalkulierenden
Fortschrittspropagandisten.
Schon versuchen Theatermacher hier und
da, das Effizienzmodell der Marktlenker zu übernehmen. Kunst dient sich den
herrschenden Verhältnissen an, übernimmt mit dem Hinweis auf die nun
einmal nicht änderbare Situation Quotendenken, Unterhaltungsideologie und
Marktdruck. Wer aber nicht mehr daran glaubt, dass Verhältnisse, von
Menschen gemacht, von Menschen verändert werden können, wem die
Erfahrung des Einzelnen nichts mehr gilt, wer Kunst als Möglichkeit sieht,
von der Wirklichkeit nicht reden zu müssen, wer Unterhaltung als
Bemühung versteht, das Publikum von sich selbst abzulenken: der schafft ein
Theater von innen her ab, ganz gleich, wie bunt es sich äußerlich
darstellen mag.
Die gesellschaftlich sanktionierte
Geringschätzung des Menschen entzieht noch der eitelsten und scheinbar
erfolgreichsten Theaterarbeit die Grundlage. Sie schafft die Voraussetzungen
für Etatkürzungen und Schließungen. An die Stelle der
Theaterarbeit, die eine Arbeit am Menschen ist, tritt das Kulturbetriebsereignis
für Bessergestellte. Festivalglanz überflimmert das soziale, das
kulturelle Elend. Das Theater aber steht auf der Seite der Vergessenen, der
Bedrohten, der Nutzlosen, all derer, die in den offiziellen Rechnungen nicht
vorkommen.
Daran sollten wir uns erinnern, wenn wir Theatermacher, in
diesen bedrohlichen Zeiten, uns fragen, was wir Ihnen, unserem Publikum, noch zu
erzählen haben. Wir danken Ihnen für Ihre Geduld.
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