Aufruf der Koordination der "Intermittents und Prekären der Ile de
France"
Kunst ohne Künstler ist wie Demokratie ohne Stimmen
Europaweiter Aufruf Aufruf der
Koordination der "Intermittents und Prekären der Ile de France"
Kunst ohne Künstler ist wie Demokratie ohne
Stimmen
Was ist in Frankreich los?
Demonstrationen, Streiks, Störungen bei Dreharbeiten, Annullierungen
von Auftritten und Festivals seit dem 26. Juni. Eine bis dahin nie
gekannte Mobilisierung rührt die Kulturszene Frankreichs auf.
Koordinationen der Bühnen-, Film- und Fernsehbeschäftigten bildeten
sich spontan, um gegen die Reform ihrer berufsspezifischen
Arbeitslosenversicherung anzugehen (ursprünglich 1969 von André
Malreaux, unter De Gaulle, gegründet). Aufbauend auf eine
spartenübergreifenden Solidarität, berücksichtigt diese Regelung
die Eigenart der Sektoren Bühne, Film und Fernsehen. Das heisst: Arbeit mit
Unterbrechungen und Flexibilität in der Beschäftigung. Die
Künstler erhalten, wenn sie ein Minimum von 507 Stunden in 12 Monaten
gearbeitet haben, für die Zeit, in der sie sich nicht im
Angestelltenverhältnis befinden, eine Arbeitslosen- und Sozialversicherung.
Dies ist kein Privileg: bei 50% der Intermittents in Frankreich liegt das
Einkommen unterhalb der Mindestlohngrenze (SMIC). Die vom
französischen Arbeitgeberverband MEDEF initiierte Reform, welche von der
französischen Regierung Anfang August 2003 ratifiziert wurde, nimmt dem
System seine Grundlage. Die Konsequenz ist eine schnelle und
unwiderrufliche Verarmung des kulturellen Bereichs in Frankreich. Der soziale
Schutz sollte eine innovative und produktive künstlerische Aktivität
unterstützen, welche sich nicht unter dem einseitigen Druck der
Rentabilität entwickeln kann.
Was ist in Europa los?
Zu dem Zeitpunkt, wo die Schweiz gerade ihren Künstlern eine soziale
Absicherung einrichtet (erster Juli 2003), Belgien sein System zur Regelung der
Arbeitslosenversicherung verbessert (Juli 2003), Luxemburg und die
Niederlande die Ihre dauerhaft festlegen, entwickelt sich Frankreich
zurück. Der Kalender der Sozialreformen wurde in Frankreich
vorgezogen, um im Rahmen der GATS-Verträge (General Agreement on Trade in
Services), der Terminplanung der WTO (World Trade Organisation) gleichgeschaltet
zu werden. (146 Mitgliedsländer haben diesen Vertrag 1994 global
unterzeichnet). Diese multilateralen Abkommen betreffen die zukünftige
Öffnung von Märkten, einbezüglich des öffentlichen Dienstes
in den Bereichen Kultur, Gesundheit, Forschung und Erziehung, . Im Rahmen des
europäischen Verfassungsprojekts, schlägt der europäische
Wirtschaftkommissar Pascal Lamy für den kulturellen Bereich vor, das
einstimmige Beschlussrecht (das ein Veto zulässt) durch ein mehrheitliches
(Zwei-Drittelmehrheit) zu ersetzen, Ohne dieses Vetorecht der Staaten der
Europäischen Union gerät der kulturelle Sektor nach und nach in den
freien Wettbewerb, und es droht ein irreparabler Verfall der kulturellen
Vielfalt.
Europa gemäß der Vorhaben des
WTO
Es regiert die Politik des Geheimnisses: Die Akten der Liberalisierungs-
und Privatisierungsvorhaben, empfohlen durch das Komitee 133 (eine Versammlung
von Experten der Regierungen und Unternehmen), innerhalb der Europa-Kommission,
werden den europäischen und nationalen Abgeordneten nicht mitgeteilt, Die
demokratische Absprache ist nicht vorgesehen. Dieses Arrangement hat keinerlei
juristische Grundlage. Glaubt man Herrn Lamy, so: "soll man seine besten Karten
nicht demjenigen offen vorlegen, mit dem man später verhandeln
muss". Die europäischen Angebote zur Liberalisierung und
Privatisierung werden erst veröffentlicht, wenn sie der WTO vorliegen. Wenn
es zu spät ist? Die WTO und die EU; ein einziger Verhandelnder und ein
einziges Ziel: die Möglichkeit den Markt des kulturellen und
öffentlichen Sektors zu öffnen. Es bedeutet den baldigen Abbau des
Schutzes dieser Sektoren durch Regierungen und ihrer Gesetzesgebung.
1994-2004:
10 Jahre. Es ist Zeit für eine europäische Bewegung für
die kulturelle Vielfalt. Sie könnte ein gemeinsamer Kampf sein:
Künstler und Bühnen-Techniker müssen ebenso wie Kulturprojekte
und das Prinzip der Subventionierung verteidigt werden.
AUFRUF für die kulturelle Ausnahme
1) Für die Eröffnung einer Debatte mit allen Betroffenen um ein
wirksames soziales Schutzsystem für alle Künstler und Techniker in
ganz Europa zu entwickeln.
2) Für eine Satzung, die den politischen Willen zur Förderung der
kulturellen Vielfalt und der dauerhaften Entwicklung künstlerischen
Schaffens in den ersten Artikeln der europäischen Verfassung,
festlegt.
3) Für die Revision des Mandats des Europa - Kommissars und die
Unterbrechung aller Verhandlungen mit der WTO, solange die dort formulierten
Angebote und Nachfragen nicht Gegenstand einer wirklichen demokratischen Debatte
sind.
4) Für die Entfernung des kulturellen Bereichs und des
öffentlichen Dienstes aus den GATSVerträgen, welche zwischen
Europa und der WTO verhandelt werden. Kunst geistiges Schaffen, kulturelle und
sprachliche Identität, , Erziehung, Wissenschaft, Gesundheit und das
soziale Solidaritätsprinzip sind keine Marktwerte.
5) Für die Festsetzung des Rechts auf Kultur und die Förderung
kultureller Vielfalt in der Charta der Grundrechte.
6) Für die bedingungslose Streichung der aktuellen Reform (Protokoll
vom 26.06.2003), der Arbeitslosenversicherung von Künstlern und Technikern
in Bühne, Film und Fernsehen, die in Frankreich arbeiten.
Was tun?
Sie können diesen Aufruf weiterleiten, um zu mobilisieren.
- im Rahmen ihrer künstlerischen Tätigkeit (z.B. bei Auftritten)
Diskussionen und Gesprächsrunden eröffnen.
- an Demonstrationen teilnehmen oder solche selbst ins Leben rufen, bei
Ihnen oder in Frankreich (gemeinsam und parallel) zur Unterstützung der
Bewegung: Konzerte, Auftritte, Vorführung.
- am Europäischen Sozialforum, das am 15 -19 November 2003 in
Paris/St. Denis vorgesehen ist, teilnehmen.
- Lobbying-Aktionen in Ihrem politischen Umfeld und den europäischen
Medien starten.
- sich für ein gemeinschaftliches System zum Schutz von Künstlern
und Technikern von Bühne, Film und Fernsehen auf europäische Ebene
einsetzen: gerichtliches Vorgehen, Überlegungen, Verfolgen von Formfehlern
des Systems (vor allem der GATS-Verträge)
"Grace
à l'art, au lieu de voir un seul monde, le nôtre, nous le voyons se
multiplier, et, autant qu'il y a d'artistes originaux, autant nous aurons de
mondes à notre disposition...
Marcel Proust, le temps retrouvé
Dank der Kunst, anstatt eine einzige Welt zu sehen - die unsere - sehen wir
sie sich vermehren und, so wie es viele originelle/wahre/echte
Künstler gibt, so stehen uns viele Welten zur
Verfügung... Dieser Text wurde in der Vollversammlung der
Koordination am 23. Juli 2003 verabschiedet. Die Koordination der
Intermittents und Prekären der Ile de France Site de la
coordination : http://cip-idf.ouvaton.orgMail :
contacteurope@no-log.orgText im RTF-Format:
Europaweiter Aufruf.rtf
Posted: Mi - Juli 23, 2003 at 06:49 nachm.
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