Rudolf Hickel
Professor für Finanzwissenschaft an der
Universität Bremen
Direktor des „Institut Arbeit und Wirtschaft
(IAW)“
Theater – ein öffentliches
GutDeutschlands Theaterlandschaft leidet unter einem bisher
nicht für möglich gehaltenen Kahlschlag. Theater werden geschlossen.
Das Diktat der leeren Kassen wirkt auf die Arbeit der noch geöffneten
Theater existenzbedrohend. Die politisch Verantwortlichen verweisen auf die
tiefe Krise der öffentlichen Finanzen infolge hartnäckiger
wirtschaftlicher Stagnation und hoher Arbeitslosigkeit. Alle Kräfte
müssten auf die Stärkung der wirtschaftlichen Wachstumskräfte
konzentriert werden. Der Vorrang gelte deshalb den investiven Ausgaben
gegenüber öffentlichem Konsum. Dabei fördert diese
Prioritätensetzung uralte Vorurteile zu Tage. Theater produzierten
lediglich ein Konsumgut vergleichbar einem Menu in einem Restaurant. Anders
ideologisiert heißt es, für sog. weiche Standortfaktoren sei in diesen
harten Zeiten kein Geld da. Diese öffentliche Politik gegen die Theater
wird dann noch als unerbittlicher Sachzwang verkauft. Letztlich werden die
anonymen Mächte der Globalisierung beschworen. Für die gierigen
Mega-Shareholder, die einen sozial entblößten Turbokapitalismus
antreiben, gilt eben Kunst und Kultur nur noch als vermarktbare Ware. In dieser
profitwirtschaftlichen Verwertungslogik ist eben kein Platz mehr für die
gesellschaftliche Veranstaltung Theater.
Die Theater leiden jedoch
nicht nur unter der auch noch durch falsche Wirtschaftspolitik erzeugten Krise
der öffentlichen Finanzen. Der Zeitgeist wird heute durch die
übermächtige Ideologie und Praxis des Neoliberalismus geprägt.
Und das bedeutet den Schwur auf eine aggressive Profitwirtschaft, die Menschen
und ihre Gesellschaft auf marktfähigen Eigennutz reduziert. Wie George
Bernard Shaw es formulierte, Wert hat nur, was einen Preis hat. An die Stelle
sozialer, ökologischer und kultureller Gestaltung treten die entfesselten
Marktkräfte. Dabei ist das zerstörerische Potenzial dieser
Einpferchung individueller Freiheit im Gatter ungezügelter Freiheiten nach
kapitalistischer Logik unübersehbar. Die kulturelle Verarmung belastet die
individuelle Entfaltung. Der soziale Zusammenhalt verflüchtigt sich in
trostlose Vereinzelung. Den kommenden Generationen wird eine zerstörte
Umwelt vererbt. Vor allem aber geht die Politik der privatwirtschaftlichen
Reichtumspflege selbst ökonomisch nicht auf. Da werden der Wirtschaft
gigantische Steuergeschenke beschert. Hinzukommen die Kostenentlastungen durch
Sozialabbau. Die versprochene Belohnung durch Investitionen in
Beschäftigung erfolgt allerdings nicht. Selbst das
Roßäpfeltheorem wird nicht mehr angenommen: Die Rösser verzehren
zwar den staatlich subventionierten besten Hafer, aber am Ende bleibt für
die Spatzen nichts übrig. Diese Politik bewegt sich auf einer
Abwärtsspirale. Eine Kürzungsrunde folgt der anderen. Am Ende gibt es
immer weniger Geld für Kultur und Theater.
Der geniale John
Kenneth Galbraith hat schon 1958 in seinem Werk die
„Überflussgesellschaft“ („The affluent Society“)
den Widerspruch, unter dem heute die Theater leiden, beschrieben: Während
der private Reichtum durch die Kapitalis-musmaschine wächst, nimmt die
öffentliche Verarmung zu. Dieser Krisenmecha-nismus muss durchbrochen
werden. Es gibt auch unter den Bedingungen der Globalisierung eine Alternative:
die ökonomische, soziale, ökologische und kulturelle Gestaltung durch
Politik. Dazu gehört eine gerechte Verteilung der Steuerlast nach dem
Prinzip der ökonomischen Leistungsfähigkeit. Dazu gehört aber
auch der Abbau der Finanzkrise der Städte und Gemeinden, die durch die
Steuerpolitik des Bundes und die Zuweisung von Ausgabenlasten entstanden ist.
An die Stelle des trostlosen neoliberalen Globalisierungswahns muss
die Mehrung des gesellschaftlichen Reichtums für die Menschen treten. Das
Primat gestaltender Politik über die Wirtschaft gilt es herzustellen. Und
dazu gehört eine entfaltungsfähige Theaterlandschaft. Was Theater
außerhalb des kommerziellen Entertainements erzeugen, sind öffentliche
Güter. Im Unterschied zu privaten Gütern werden durch den
Theaterbesuch positive Wirkungen erzeugt, die weit über den individuellen
Nutzen hinausgehen. Gewiss steht, in Anspielung auf Friedrich Nietzsche,
für das Theater im Vordergrund „den Boden des individuellen
Glücks zu erweitern“. Die kreative Erfahrung in der Ruhezone
gegenüber dem gestressten Alltag entfaltet sich jedoch weit über den
Einzelnen hinaus. Theater bietet einen Rastplatz der Reflexion durch
Aufklärung. Die Kräfte für ein friedensfähiges Gemeinwesen,
für die Demokratie werden immer wieder gestärkt. Theater inszeniert
Provokation gegen die machtpolitisch erzeugten Sachzwänge eines
perspektivlosen Neoliberalismus. Wo sonst gibt es derzeit dafür noch
Bühnen? Wenn dadurch auch Aversionen bei den politischen Geldgebern erzeugt
werden, aufklärendes Provozieren gehört zum Theater. Heute wird oft
die Interessenlosigkeit der Jugend bejammert. Das öffentliche Theater
bietet hier eine Chance, Kinder und Jugendliche in die Welt des Theaters
mitzunehmen. Letztendlich wird oft übersehen, dass das Theater durch
bezahlbare Eintrittskarten soziale Barrieren abbaut.
Dieses durch
die Theater produzierte öffentliche Gut lässt sich auf der Basis
privatwirtschaftlicher Preisbildung nicht erstellen. Die Theater wären bis
auf die wenigen, die sich die Eintrittskarte leisten können, leer. Die
Existenz eines vielfältigen Theaterangebots muss daher durch
öffentliche Finanzmittel gewährleistet werden. Dabei geht es nicht um
ein Plädoyer für staatliche Produktion. Ganz im Gegenteil, mit
öffentlichen Finanzen werden die sehr unterschiedlich organisierten und
eigendynamischen Theater ermöglicht. Diese Art der Finanzierung hat nichts
mit Subventionierung zu tun. Dieser pejorative Begriff dient wohl nicht ganz
absichtslos der Irreführung. Subventioniert werden Unternehmen etwa im
Steinkohlebergbau oder der Windenergie sowie die privaten Haushalte. Bei den
Theatern geht es um die Finanzierung einer öffentlichen Aufgabe. Niemand
käme doch auf die Idee, die Finanzierung der Bundeswehr oder der
Hochschulen als Subvention zu charakterisieren.
Der öffentliche
Auftrag für leistungsfähige Theater muss wieder in den Mittelpunkt
gerückt werden. International vergleichende Studien zeigen die
Überlegenheit der Ökonomien, bei denen das Human- und Kulturkapital
stark ausgeprägt ist. Selbstverständlich sind die Theater auf der
Basis öffentlicher Finanzierung zu einer betriebsökonomisch
angemessenen Produktion verpflichtet. Da gibt es an der einen oder anderen
Stelle durchaus aus Handlungsbedarf. Aber eines ist gewiß: Die
Kostensenkungsprogramme, die Wirtschaftsprüfer immer wieder für
Theater ausloten, sind wenig tauglich. Die Produktion an den Theatern lässt
sich nicht mit dem Effizienzkonzept für Fabrikbetriebe bewerten. Es geht
nicht um einen Mensch-Maschinen-Konnex. Im Mittelpunkt steht die humane
Interaktion, die Mensch-Mensch-Beziehung.
Deshalb ist am Ende
„Theaterland wird abgebrannt“ nichts anderes als
Wohlstandsvernichtung.
(Vortrag, gehalten auf dem Forum "Theaterland
wird abgebrannt" der Deutschen Akademie der Darstellenden Künste am
3.10.2003 im Schiller Theater Berlin.)
Text im
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Hickeltext.rtf