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Theater – ein öffentliches Gut

Rudolf Hickel
Professor für Finanzwissenschaft an der Universität Bremen
Direktor des „Institut Arbeit und Wirtschaft (IAW)“

Vortrag, gehalten auf dem Forum "Theaterland wird abgebrannt" der Deutschen Akademie der Darstellenden Künste am 3.10.2003 im Schiller Theater Berlin.

 

Rudolf Hickel
Professor für Finanzwissenschaft an der Universität Bremen
Direktor des „Institut Arbeit und Wirtschaft (IAW)“


Theater – ein öffentliches Gut

Deutschlands Theaterlandschaft leidet unter einem bisher nicht für möglich gehaltenen Kahlschlag. Theater werden geschlossen. Das Diktat der leeren Kassen wirkt auf die Arbeit der noch geöffneten Theater existenzbedrohend. Die politisch Verantwortlichen verweisen auf die tiefe Krise der öffentlichen Finanzen infolge hartnäckiger wirtschaftlicher Stagnation und hoher Arbeitslosigkeit. Alle Kräfte müssten auf die Stärkung der wirtschaftlichen Wachstumskräfte konzentriert werden. Der Vorrang gelte deshalb den investiven Ausgaben gegenüber öffentlichem Konsum. Dabei fördert diese Prioritätensetzung uralte Vorurteile zu Tage. Theater produzierten lediglich ein Konsumgut vergleichbar einem Menu in einem Restaurant. Anders ideologisiert heißt es, für sog. weiche Standortfaktoren sei in diesen harten Zeiten kein Geld da. Diese öffentliche Politik gegen die Theater wird dann noch als unerbittlicher Sachzwang verkauft. Letztlich werden die anonymen Mächte der Globalisierung beschworen. Für die gierigen Mega-Shareholder, die einen sozial entblößten Turbokapitalismus antreiben, gilt eben Kunst und Kultur nur noch als vermarktbare Ware. In dieser profitwirtschaftlichen Verwertungslogik ist eben kein Platz mehr für die gesellschaftliche Veranstaltung Theater.

Die Theater leiden jedoch nicht nur unter der auch noch durch falsche Wirtschaftspolitik erzeugten Krise der öffentlichen Finanzen. Der Zeitgeist wird heute durch die übermächtige Ideologie und Praxis des Neoliberalismus geprägt. Und das bedeutet den Schwur auf eine aggressive Profitwirtschaft, die Menschen und ihre Gesellschaft auf marktfähigen Eigennutz reduziert. Wie George Bernard Shaw es formulierte, Wert hat nur, was einen Preis hat. An die Stelle sozialer, ökologischer und kultureller Gestaltung treten die entfesselten Marktkräfte. Dabei ist das zerstörerische Potenzial dieser Einpferchung individueller Freiheit im Gatter ungezügelter Freiheiten nach kapitalistischer Logik unübersehbar. Die kulturelle Verarmung belastet die individuelle Entfaltung. Der soziale Zusammenhalt verflüchtigt sich in trostlose Vereinzelung. Den kommenden Generationen wird eine zerstörte Umwelt vererbt. Vor allem aber geht die Politik der privatwirtschaftlichen Reichtumspflege selbst ökonomisch nicht auf. Da werden der Wirtschaft gigantische Steuergeschenke beschert. Hinzukommen die Kostenentlastungen durch Sozialabbau. Die versprochene Belohnung durch Investitionen in Beschäftigung erfolgt allerdings nicht. Selbst das Roßäpfeltheorem wird nicht mehr angenommen: Die Rösser verzehren zwar den staatlich subventionierten besten Hafer, aber am Ende bleibt für die Spatzen nichts übrig. Diese Politik bewegt sich auf einer Abwärtsspirale. Eine Kürzungsrunde folgt der anderen. Am Ende gibt es immer weniger Geld für Kultur und Theater.

Der geniale John Kenneth Galbraith hat schon 1958 in seinem Werk die „Überflussgesellschaft“ („The affluent Society“) den Widerspruch, unter dem heute die Theater leiden, beschrieben: Während der private Reichtum durch die Kapitalis-musmaschine wächst, nimmt die öffentliche Verarmung zu. Dieser Krisenmecha-nismus muss durchbrochen werden. Es gibt auch unter den Bedingungen der Globalisierung eine Alternative: die ökonomische, soziale, ökologische und kulturelle Gestaltung durch Politik. Dazu gehört eine gerechte Verteilung der Steuerlast nach dem Prinzip der ökonomischen Leistungsfähigkeit. Dazu gehört aber auch der Abbau der Finanzkrise der Städte und Gemeinden, die durch die Steuerpolitik des Bundes und die Zuweisung von Ausgabenlasten entstanden ist.

An die Stelle des trostlosen neoliberalen Globalisierungswahns muss die Mehrung des gesellschaftlichen Reichtums für die Menschen treten. Das Primat gestaltender Politik über die Wirtschaft gilt es herzustellen. Und dazu gehört eine entfaltungsfähige Theaterlandschaft. Was Theater außerhalb des kommerziellen Entertainements erzeugen, sind öffentliche Güter. Im Unterschied zu privaten Gütern werden durch den Theaterbesuch positive Wirkungen erzeugt, die weit über den individuellen Nutzen hinausgehen. Gewiss steht, in Anspielung auf Friedrich Nietzsche, für das Theater im Vordergrund „den Boden des individuellen Glücks zu erweitern“. Die kreative Erfahrung in der Ruhezone gegenüber dem gestressten Alltag entfaltet sich jedoch weit über den Einzelnen hinaus. Theater bietet einen Rastplatz der Reflexion durch Aufklärung. Die Kräfte für ein friedensfähiges Gemeinwesen, für die Demokratie werden immer wieder gestärkt. Theater inszeniert Provokation gegen die machtpolitisch erzeugten Sachzwänge eines perspektivlosen Neoliberalismus. Wo sonst gibt es derzeit dafür noch Bühnen? Wenn dadurch auch Aversionen bei den politischen Geldgebern erzeugt werden, aufklärendes Provozieren gehört zum Theater. Heute wird oft die Interessenlosigkeit der Jugend bejammert. Das öffentliche Theater bietet hier eine Chance, Kinder und Jugendliche in die Welt des Theaters mitzunehmen. Letztendlich wird oft übersehen, dass das Theater durch bezahlbare Eintrittskarten soziale Barrieren abbaut.

Dieses durch die Theater produzierte öffentliche Gut lässt sich auf der Basis privatwirtschaftlicher Preisbildung nicht erstellen. Die Theater wären bis auf die wenigen, die sich die Eintrittskarte leisten können, leer. Die Existenz eines vielfältigen Theaterangebots muss daher durch öffentliche Finanzmittel gewährleistet werden. Dabei geht es nicht um ein Plädoyer für staatliche Produktion. Ganz im Gegenteil, mit öffentlichen Finanzen werden die sehr unterschiedlich organisierten und eigendynamischen Theater ermöglicht. Diese Art der Finanzierung hat nichts mit Subventionierung zu tun. Dieser pejorative Begriff dient wohl nicht ganz absichtslos der Irreführung. Subventioniert werden Unternehmen etwa im Steinkohlebergbau oder der Windenergie sowie die privaten Haushalte. Bei den Theatern geht es um die Finanzierung einer öffentlichen Aufgabe. Niemand käme doch auf die Idee, die Finanzierung der Bundeswehr oder der Hochschulen als Subvention zu charakterisieren.

Der öffentliche Auftrag für leistungsfähige Theater muss wieder in den Mittelpunkt gerückt werden. International vergleichende Studien zeigen die Überlegenheit der Ökonomien, bei denen das Human- und Kulturkapital stark ausgeprägt ist. Selbstverständlich sind die Theater auf der Basis öffentlicher Finanzierung zu einer betriebsökonomisch angemessenen Produktion verpflichtet. Da gibt es an der einen oder anderen Stelle durchaus aus Handlungsbedarf. Aber eines ist gewiß: Die Kostensenkungsprogramme, die Wirtschaftsprüfer immer wieder für Theater ausloten, sind wenig tauglich. Die Produktion an den Theatern lässt sich nicht mit dem Effizienzkonzept für Fabrikbetriebe bewerten. Es geht nicht um einen Mensch-Maschinen-Konnex. Im Mittelpunkt steht die humane Interaktion, die Mensch-Mensch-Beziehung.

Deshalb ist am Ende „Theaterland wird abgebrannt“ nichts anderes als Wohlstandsvernichtung.

(Vortrag, gehalten auf dem Forum "Theaterland wird abgebrannt" der Deutschen Akademie der Darstellenden Künste am 3.10.2003 im Schiller Theater Berlin.)



Text im RTF-Format:

Hickeltext.rtf

Posted: Di - Dezember 16, 2003 at 12:16 nachm.  
   
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