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disKURSwechsel :: EU-Verfassung

Für ein anderes Europa

junge Welt vom 05.12.2003

Die Kritik der sozialistischen Linken muß an der sozialen und wirtschaftlichen Zielsetzung der EU ansetzen

Angela Klein

 

junge Welt vom 05.12.2003

Thema

Für ein anderes Europa

Die Kritik der sozialistischen Linken muß an der sozialen und wirtschaftlichen Zielsetzung der EU ansetzen

Angela Klein

 

Die Politik der Europäischen Union beeinflußt heute nicht mehr nur Teilbereiche wie die Landwirtschafts- oder Montanpolitik, sondern den überwiegenden Teil unseres gesellschaftlichen und politischen Lebens. 70 Prozent der Gesetze, die im Bundestag verhandelt werden, haben ihren Ursprung in Brüssel; Tendenz steigend.

Dabei werden nicht einfach Kompetenzen von der nationalen auf die europäische Ebene verlagert. Vielmehr gibt es eine komplizierte Aufgabenverteilung zwischen den verschiedenen Ebenen der Politik. Neben der lokalen, landesweiten und bundesweiten wird die europäische Ebene ein zusätzlicher Adressat, den soziale Bewegungen beachten müssen. Wer heute Parteiprogramme entwirft, die sich darauf beschränken, Antworten für Deutschland zu formulieren, geht an der Wirklichkeit vorbei. Lösungsansätze gibt es nur noch im europäischen Rahmen und in der Definition des Verhältnisses Europas zum Rest der Welt. Das ist die Folge der Globalisierung der kapitalistischen Produktion und der Öffnung der internationalen Kapitalmärkte.

Die Europäischen Märsche gegen Erwerbslosigkeit, ungeschützte Beschäftigung und Ausgrenzung haben diese Tendenz frühzeitig erkannt und auf die Bedeutung der europäischen Ebene als eigenständiger Motor auch für die Politik in der Bundesrepublik hingewiesen. Es lassen sich grob gesagt vier verschiedene Arten des Zusammenspiels zwischen europäischer und nationaler Ebene unterscheiden (sie sind alle im EU-Verfassungsvertrag niedergelegt, der bis Mai 2004 ratifiziert werden soll).

Europäisierung der Politik

Da gibt es zum einen die Politikbereiche, die mittlerweile ausschließlich oder hauptsächlich in europäischer Verantwortung liegen; sie werden als Gemeinschaftsaufgaben bezeichnet. Dazu gehören die Währungspolitik (Festlegung des Leitzinses und der Geldmenge), sie ist ausschließlich Aufgabe der Europäischen Zentralbank (EZB) sowie die Wettbewerbspolitik und die europäische Agrarpolitik – sie liegen im Zuständigkeitsbereich der EU-Kommission. Wettbewerbskommissar Mario Monti kann verfügen, daß eine Industriefusion gegen Wettbewerbskriterien verstößt, und wenn ein Unternehmen dagegen vorgehen will, muß es vor dem Europäischen Gerichtshof klagen. Die europäische Agrarpolitik legt Höhe und Art der Subventionen fest, die an die Bauern gezahlt werden. Die Kommission vertritt die EU in internationalen Institutionen wie der WTO und trägt dort die Linie der EU zum Freihandel, zu GATS, TRIPS u. a. internationalen Abkommen vor, oder sie konfrontiert das WTO-Schiedsgericht mit Klagen gegen »unlauteren Wettbewerb« seitens der USA u. v. a. m.

Zweitens erfordern die meisten Politikbereiche eine komplizierte Abstimmung zwischen der Kommission und den Einzelstaaten, die im Rat zusammensitzen (das ist der Kreis der Staats- und Regierungschefs der Mitgliedstaaten); teilweise ist auch das Europäische Parlament gefragt. Das betrifft z. B. die Haushalts- und Wirtschaftspolitik der Einzelstaaten. Hier hat die Kommission darüber zu wachen, daß der Stabilitätspakt eingehalten wird. Sie hat dazu mächtige Instrumente an der Hand – z. B. kann sie »blaue Briefe« verschicken; Deutschland und Frankreich haben in letzter Zeit solche Briefe bekommen, weil die Neuverschuldung ihrer nationalen Haushalte jeweils höher als drei Prozent liegt. Die Kommission kann die »guten« Länder, die den Stabilitätskriterien genügen, gegen die »bösen«, die sie überschreiten, aufbringen. Letzten Endes liegt es aber in der Entscheidung der Regierungen der Einzelstaaten, ob sie sich an den Pakt halten oder nicht.

Deutschland und Frankreich haben jetzt beschlossen, sich nicht daran zu halten. Sie haben zum dritten Mal in Folge die Drei-Prozent-Grenze überzogen und müßten deswegen eigentlich Strafgelder in Milliardenhöhe zahlen. Weil diese beiden jedoch die mächtigsten Länder in der EU sind, die den Großteil ihrer Ausgaben finanzieren, wagen es viele kleinere Länder nicht, sich mit ihnen anzulegen. Die Kommission hat deswegen nicht die zwei Drittel der Stimmen zusammenbekommen, die erforderlich gewesen wären, den Verstoß förmlich festzustellen – eine Voraussetzung dafür, daß die Kommission Sanktionen verhängen kann.

An diesem Fall läßt sich ein Grundwiderspruch der EU sehr gut aufzeigen. Die EZB legt ihre Geldpolitik nach dem neoliberalen Maßstab fest: Preisstabilität ist der oberste Grundsatz der Wirtschaftspolitik. Der Stabilitätspakt ist dazu da, daß alle Länder die Grenze von drei Prozent einhalten. Wenn der Pakt aber gebrochen wird und nicht mehr die gemeinsame Grundlage der Haushaltspolitik der Mitgliedstaaten darstellt, können die Inflationsraten innerhalb der EU so weit auseinandergehen, daß eine gemeinsame Geldpolitik nicht mehr möglich ist. Solange dieser Grundwiderspruch – europäische Geldpolitik, nationale Haushaltspolitik – nicht gelöst ist, kann man nicht davon reden, daß die Union die Nationalstaaten in Europa abgelöst hat. Solange bleibt auch die Existenz der Union selbst prekär. Daran ändert auch die Europäische Verfassung nichts. Denn die stellt trotz der Zunahme von Mehrheitsentscheidungen anstelle von Konsensentscheidungen keine neue Stufe der Integration dar, sondern schreibt im wesentlichen den Status quo fort, verstärkt eher die Tendenz, durch Koalitionsbildung einzelnen Staatengruppen eine Vormachtstellung zu ermöglichen.

Die Konstruktionsfehler der EU setzen sich an anderer Stelle fort. Es gibt nämlich drittens Politikbereiche, die bleiben in der alleinigen Verantwortung der Mitgliedstaaten. Dazu gehören die Steuerpolitik und die Arbeitsmarktpolitik. Die Mitgliedstaaten wie die Kommission verweigern eine EU-weite Harmonisierung der Steuersätze, der sozialen Sicherungssysteme und des Arbeitsrechts, weil sie – auch hier der neoliberalen Doktrin gehorchend – in diesen Bereichen eine stärkere Konkurrenz zwischen Staaten und Regionen wollen, keine Angleichung. Zwar denkt die EU-Kommission darüber nach, einen europäischen Arbeitsmarkt einzurichten, aber nur, damit die Mobilität der Arbeitsuchenden steigt, um die Lohnkonkurrenz innerhalb der EU zu verschärfen, nationale Tarifverträge aufzubrechen und alle Schranken gegen das Lohndumping niederzureißen.

Obwohl die EU jede Verantwortung für diese Bereiche ablehnt, übt sie viel Einfluß aus. Das tut sie über die sogenannte Methode der offenen Koordination. Das bedeutet: Die Kommission fragt von den Regierungen Berichte ab, z. B. über die Arbeitslosigkeit und was die Regierungen dagegen tun, bündelt sie zu einem zusammenhängenden Bericht und hängt ihre Empfehlungen daran, die der Europäische Rat auf seinen Gipfeltreffen im März abnickt.

Im Bereich der Arbeitsmarktpolitik werden diese Empfehlungen immer präziser, für jedes Land gesondert aufgeführt. So wurde im letzten Jahr Deutschland dafür kritisiert, es tue zu wenig, um die Eigenverantwortlichkeit und damit die Beschäftigungsfähigkeit der Erwerbslosen zu erhöhen; in diesem Jahr richtet sich die Kritik gegen die Gesundheitspolitik. Die »Schlußfolgerungen des Europäischen Rats« vom 17. Oktober 2003 fordern eine forcierte Privatisierung der Altersvorsorge – im Nachklapp zum EU-Gipfel in Barcelona im März 2002, als erstmals die Renten direkt ins Visier der Kommission gerieten. Letzten Endes entscheidet die nationale Politik, aber unbestritten geht von Brüssel ein Sog aus, dem sich die Mitgliedstaaten nicht widersetzen.

Während also die Union einen hohen Grad der Integration der Märkte und der Wettbewerbsregeln forciert, betreibt sie gleichzeitig die Desintegration und Zersplitterung der sozialen Sicherungssysteme und der Arbeitsrechtsbestimmungen in den einzelnen Mitgliedstaaten – beides im Namen der globalen Wettbewerbsfähigkeit. Der EU-Gipfel von Lissabon hat diesen Auftrag eindeutig formuliert: »Die Union muß die dynamischste und wettbewerbsfähigste Region der Welt werden.« Es ist das gleiche Ziel, wie es im ausgehenden 19. Jahrhundert für die Nationalstaaten formuliert wurde: den globalen imperialistischen Konkurrenzkampf zu gewinnen. Der Unterschied ist dennoch erheblich. Ging es damals darum, einen Teil der Arbeiterbewegung zu integrieren und in diesen Konkurrenzkampf einzuspannen, so soll heute ein wachsender Teil der lohnabhängigen Bevölkerung aus sozialen Rechten und gesellschaftlicher Teilhabe ausgegrenzt werden.

Keine EU-Identität

Die Schaffung der Militärunion, die jetzt durch den Verfassungsvertrag kodifiziert wird und die ein Ergebnis der nach dem Fall der Mauer entfesselten Konkurrenz zu den USA ist, gehorcht einem vierten Modell der Integration: dem Europa der mehreren Geschwindigkeiten. Das bedeutet verstärkte Zusammenarbeit und beginnende Supranationalität im Bereich der Sicherheits- und Verteidigungspolitik, aber nicht mehr unter Einbeziehung aller EU-Staaten, sondern nur derer, »die wollen« – wobei das Wollen häufig mehr über stärkere und weniger starke Abhängigkeiten der Ökonomien von Mitgliedstaaten untereinander aussagt: z. B. der belgischen, luxemburgischen und österreichischen von denen Frankreichs und Deutschlands. Es liegt auf der Hand, daß diese Methode einen neuen Spaltpilz in die Union bringt.

Die europäische Ebene der Politik wird also immer wichtiger. Die künstliche Konfrontation zwischen EU und Nationalstaat wird dem realen Gang der Dinge nicht gerecht – vielmehr entspricht gerade das widersprüchliche Verhältnis zwischen beiden, das die Union von Maastricht charakterisiert, den Erfordernissen der neoliberalen Globalisierung und ihrer Umsetzung in einem europäischen Raum, der in eine Konkurrenzposition zu den USA und Ostasien gestellt wird. Somit gilt es nicht, sich auf eine Seite des Widerspruchs zu schlagen, sondern den Motor auszuschalten, der ihn antreibt: den Zwang zur privatwirtschaftlichen Konkurrenz und zur Kapitalakkumulation. Die Kritik der sozialistischen Linken muß deshalb an der sozialen und wirtschaftlichen Zielsetzung der Union ansetzen.

Europa gibt es als Markt, als Infrastruktur (Verkehr, Banken, Kapitalmärkte), als Festung zur Abwehr von Flüchtlingen und Migranten, und es gibt eine europäische Technokratie. Europa gibt es nicht als politische oder kulturelle Identität. Es gibt weder ein europäisches Kapital (nur in kleinen Ansätzen, darunter nicht zufällig die Rüstung), noch gibt es eine europäische Arbeiterbewegung.

Ein europäisches Subjekt

Die Kritik der sozialen Bewegungen und auch der sozialistischen Linken an der EU orientiert nicht darauf, die Mauern des Nationalstaats gegen die europäische Integration zu verteidigen. Sie orientiert auf die Erfüllung des Wunsches, der am Ende des Zweiten Weltkriegs in Europa dominiert hat: daß die Völker des Kontinents dauerhaft in Frieden untereinander und mit ihren Nachbarn zusammenleben. Wir brauchen ein anderes Europa in einer anderen Welt und müssen dazu die Verträge von Maastricht und Amsterdam außer Kraft setzen und durch ein anderes europäisches Vertragswerk ersetzen. Wir müssen uns Gedanken machen, wie wir eine Angleichung der Lebensverhältnisse nach oben bewirken können. Wir müssen uns eigene Gedanken darüber machen, auf welchen Gebieten wir eine europäische Integration vorantreiben wollen und auf welchen Gebieten wir an lokalen und nationalen Entscheidungen festhalten wollen. Das Subsidiaritätsprinzip, das besagt, die Aufgaben müssen auf den Ebenen gelöst werden, auf denen sie sich stellen, muß von links besetzt werden. Das würde bedeuten, europaweite Standards im Arbeitsrecht und in den sozialen Sicherungssystemen zu schaffen, ohne deswegen ein gleiches Recht und ein gleiches System für alle einzurichten. Aber: Keine Befugnis der Union, Sanktionen wegen Nichterfüllung des Stabilitätspakts zu verhängen. Abschaffung der Kommission in ihrer Eigenschaft als Monopolträgerin der Gesetzesinitiative. Die europäischen Institutionen müssen von Grund auf revidiert werden, neue Formen der Mitwirkung und der Repräsentation müssen gefunden werden, die eine möglichst unmittelbare Beteiligung der Bevölkerung auf allen Ebenen ermöglichen.

Dazu brauchen wir ein europäische Subjekt. Der Europäische Verfassungsentwurf liefert dafür keine Grundlage; er kodifiziert ja das Gegenteil: die Atomisierung der Bevölkerungen und die Abtrennung einer Schicht von EU-Mandarinen, die quasifeudalistisch die Geschicke Europas bestimmen. Das Subjekt können nur die sozialen Bewegungen sein, die in dem Maße, wie sie die Gleichgerichtetheit der neoliberalen Angriffe erkennen, gemeinsame Forderungen und grenzüberschreitende Aktionsformen entwickeln und somit eine europäische Tradition schaffen.

Lohn statt Stütze

Wir erleben heute eine Renaissance der europäischen sozialen Bewegung und ihre zunehmende Bewußtwerdung als ein European Player. Die europäische Erwerbslosenbewegung hat sich Ende der 90er Jahre als erste in diese Richtung entwickelt – durch fortgesetzte europäische Mobilisierungen, aber auch durch die Thematisierung der Notwendigkeit eines Mindesteinkommens auf europäischer Ebene. Sie hat nicht nur globale soziale Standards eingefordert, sondern sich auch mit den enormen Disparitäten zwischen den EU-Staaten im Lebensstandard und in der Kaufkraft auseinandergesetzt. Sie ist zum Ergebnis gekommen, daß eine Untergrenze für Einkommen aller Art (Lohnersatz, Rente) nicht – wie die EU vorsieht – am stetig sinkenden Durchschnittseinkommen gemessen werden darf, sondern als Anteil am gesellschaftlichen Reichtum ausgedrückt werden muß, der in einem Land hergestellt wird. Diese Forderung erhält in den letzten Wochen ungeahnte Aktualität. In dem Maße nämlich, wie die Angriffe auf die sozialen Errungenschaften europaweit koordiniert werden, wächst auch spontan der Widerstand. Am 22. November gingen mehrere tausend Erwerbslose in Rom für eine Grundsicherung auf die Straße; Arbeitslosengeld, gar Arbeitslosenhilfe ist in Italien bisher so gut wie unbekannt. Dabei fordern die Erwerbslosen nicht mehr das alte Modell eines an den Lohn gekoppelten Arbeitslosengelds, sondern – gewitzt durch die Erfahrung der Langzeitarbeitslosigkeit und einer Politik, die nichts mehr tut, um Arbeitsplätze zu schaffen – einen »sozialen Lohn«, von dem man in Würde leben kann. Am 28. November trieb es die belgischen Erwerbslosen für dieselbe Forderung in Brüssel auf die Straße; am 6. Dezember folgt eine nationale Demonstration der Erwerbslosen in Paris.

Durch die Herstellung gleicher Lebensverhältnisse soll dem Lohndumping ein Riegel vorgeschoben werden. Das ist der Ansatz. Es liegt nahe, ihn nicht allein für Lohnersatzeinkommen zu formulieren, sondern auch für die Löhne selbst, zumal die Gewerkschaften mehr und mehr mit illegaler Arbeit konfrontiert sind. Das erzwingt eigentlich als nächsten Schritt eine Diskussion über einen europaweiten gesetzlichen Mindestlohn und entsprechenden gewerkschaftlichen Kampf dafür. In Anlehnung an die Formel der Erwerbslosen ließe er sich formulieren als Mindesteinkommen plus X. Ohne die Gewerkschaften läuft diese Debatte natürlich nicht – mit ihnen bisher allerdings auch nicht. Es gibt immer noch viele Gewerkschaften, die einen gesetzlichen Mindestlohn ablehnen, und von einer gemeinsamen europäischen Kampagne dafür sind sie weit entfernt. Auch auf dem Europäischen Sozialforum im November in Paris hat der Mindestlohn kaum eine Rolle gespielt.

Soziale Rechte in Europa

Hier stoßen wir auf das Problem, daß es ein europäisches Subjekt nicht geben wird, wenn die Gewerkschaftsbewegung sich nicht zu einer europäischen transformiert. Sie tut sich bisher jedoch am schwersten, den neuen Rahmen zu akzeptieren. Zwar ist die Bereitschaft, sich in den Rahmen des Sozialforumsprozesses zu stellen, gewachsen. Große Gewerkschaften wie ver.di oder die italienische CGIL oder die französische CGT nehmen inzwischen mit ihren Führungsspitzen daran teil. Aber es geht um etwas anderes: Der Aktionsradius der Gewerkschaften selbst muß ein europäischer werden, wenn tarifliche und soziale Errungenschaften erhalten werden sollen. Arbeitskämpfe müssen auf europäischem Niveau geführt werden können, wenn man den Strategien des Kapitals angemessen etwas entgegensetzen will. Das erfordert eine grundlegende Umgestaltung der Arbeitsweise der Gewerkschaften, die bisher im wesentlichen national orientiert ist.

Die Beratungen zum EU-Verfassungsvertrag haben viele Nichtregierungsorganisationen zu kritischen Stellungnahmen provoziert; kaum eine von ihnen wurde berücksichtigt. Der Kreis derer, die dem Verfassungsvertrag ablehnend gegenüberstehen, wächst. Es hat sich in diesem Jahr ein Netzwerk »Soziale Rechte in Europa« gebildet; dieses hat einen Katalog von sozialen, politischen und bürgerlichen Grundrechten erarbeitet, den es in der Verfassung verankert wissen will. Das Netzwerk wird im Vorfeld der feierlichen Unterzeichnung der Verfassung (bisher geplant für den 9. Mai 2004 in Rom; parallel dazu soll es eine europäische Großdemonstration geben) eine mehrtägige Konferenz durchführen, um entlang des Katalogs der Rechte erste Grundlagen eines anderen Europa zu skizzieren. Dazu gehören viele Aspekte: eine offene Unionsbürgerschaft; die Ablehnung des Schengener Abkommens; die Ablehnung der Verträge von Maastricht und Amsterdam und des Stabilitätspakts; die Ausrichtung der Wirtschaftspolitiken in der Union auf die Schaffung gesellschaftlich nützlicher, sinnvoller und ökologisch verträglicher Arbeitsplätze; die Festlegung sozialer Standards auf europäischer Ebene; die Ablehnung des in der Verfassung enthaltenen Zwangs zur Militarisierung und die Verpflichtung der EU auf eine friedliche Politik; die Verpflichtung zum solidarischen Ausgleich mit den Ländern des Südens und zu Reparationen für die Schäden durch die Kolonialherrschaft und die Diktate des IWF – und, und, und.

Die Europäisierung unserer Politik wird nicht einfach als Verlängerung der Strukturen, die wir aus dem nationalstaatlichen Raum kennen, in den europäischen Raum gedacht werden können. Verstärkt durch den Legitimationsverlust von Parteien und Gewerkschaften auf nationalstaatlicher Ebene führt der Zwang, sich nun europaweit zu organisieren – und zwar nicht als lose Föderation, sondern um gemeinsam europäische Politik zu entfalten – dazu, daß Grundfragen von Organisation, Legitimation und Repräsentation neu diskutiert werden müssen. Diese Aufgabe zu lösen, darin liegt die größte Herausforderung für das Europäische Sozialforum.

* Angela Klein koordiniert in Deutschland die Europäischen Märsche gegen Erwerbslosigkeit, ungeschützte Beschäftigung und Ausgrenzung

 

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Posted: Di - Dezember 16, 2003 at 10:22 nachm.  
   
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