Reizwort StreikKonferenz gegen Sozialabbau
gelangte trotz Streit zu ErgebnissenDaniel Behruzi,
Frankfurt/MainGrößtenteils recht konstruktiv und
solidarisch diskutierten die knapp 500 Teilnehmer der Aktionskonferenz
»Alle gemeinsam gegen Sozialkahlschlag« am Wochenende in Frankfurt am
Main. Aktivisten unterschiedlicher Teile der sozialen Bewegung, Gewerkschafter
und Globalisierungskritiker waren in die Mainmetropole gekommen, um über
die Perspektiven des Widerstands gegen Sozialabbau zu debattieren und gemeinsame
Aktivitäten vorzubereiten (jW berichtete am Montag). Im Vordergrund standen
dabei europaweite Aktionstage gegen Sozialabbau am 2. und 3. April, an denen in
Deutschland eine zentrale Großdemonstration in Berlin, möglicherweise
ergänzt durch Kundgebungen in Stuttgart und im Ruhrgebiet, stattfinden
soll. Diese Aktionen müßten noch größer werden als am 1.
November, als 100 000 in Berlin gegen die »Agenda 2010« auf die
Straße gingen, so der Tenor.
Die Frankfurter Aktionskonferenz,
auf der ein in solchem Rahmen bislang ungekannt breites Spektrum des sozialen
Protests vertreten war, beschloß sowohl, zur zentralen Demonstration am 3.
April zu mobilisieren, als auch am Vortag einen betrieblichen und lokalen
Aktionstag durchzuführen. Auch ein »Aufruf gegen Sozialkahlschlag und
für soziale Gerechtigkeit« wurde formuliert, für den laut Bernd
Riexinger, Geschäftsführer der Gewerkschaft ver.di in Stuttgart,
»Hunderttausende Unterschriften« gesammelt werden sollen, »um
aufzuzeigen, daß es eine breite Stimmung gegen die Sozialkürzungen
gibt«.
Als es kurz vor Ende der Konferenz am Sonntag abend um
die Verabschiedung einer Abschlußerklärung ging, kam es auf dem bis
dahin recht produktiven Treffen doch noch zum Eklat. In einer Arbeitsgruppe
hatte man sich zwar auf einen Text verständigt, der neben der Ablehnung der
»Agenda 2010« auch einen detaillierten Forderungskatalog beinhaltet
– von Mindesteinkommen und unbeschränktem Zugang zu freier Bildung
über stärkere Unternehmensbesteuerung bis hin zur 30-Stunden-Woche bei
vollem Lohn- und Personalausgleich. Einen Dissens gab es jedoch in der Frage, ob
das Wort »Streik« bei den zu ergreifenden Widerstandsmaßnahmen
auftauchen dürfe. Dies versuchten Peter Wahl und Werner Rätz vom
Koordinierungskreis des globalisierungskritischen Netzwerks ATTAC mit allen
Mitteln zu verhindern. Eine derartige Erklärung werde von ATTAC nicht
mitgetragen, erklärten sie kategorisch. Im Gespräch mit junge Welt
sagte Wahl, man sei zwar nicht gegen Streiks, aber diese würden »nicht
deklariert, sondern gemacht«. In erster Linie sei es ihnen jedoch um
»bündnispolitische Rücksichtnahme« gegangen. Man müsse
»auch diejenigen mitdenken, die noch nicht dabei sind«, erklärte
Wahl, offensichtlich bezogen auf die Gewerkschaftsspitzen.
Nicht
nachvollziehen konnte diese Argumentation Bernd Riexinger. Er hatte einen
Formulierungsvorschlag eingebracht, der sich für »betriebliche
Aktivitäten bis hin zu Streiks« ausspricht. »Wenn die
Gewerkschaften durch so etwas abgeschreckt würden, wäre das doch
eigenartig«, meinte Riexinger gegenüber jW. Besonders wunderte den
ver.di-Funktionär, daß die Vertreter des globalisierungskritischen
Netzwerks ausgerechnet in diesem Punkt, der nicht gerade zu den
»ATTAC-Themen« gehört, ein Veto einlegten. Er bezweifelte zudem,
daß Wahl und Rätz in dieser Frage für ihre Organisation, in der
es keinen Konsens hierzu gibt, sprechen könnten. »Mit welchem Recht
wird da im Namen von ATTAC ein Veto eingelegt?« fragte Riexinger und schlug
vor, dieses Vorgehen innerhalb der ATTAC-Strukturen zu
thematisieren.
Wahl betonte, das große Problem sei nicht die
vorgeschlagene »Popelsformulierung« gewesen, sondern die Frage, ob auf
derartigen Konferenzen im Konsens oder per Abstimmung entschieden werden sollte.
Riexinger, der als Diskussionsleiter zur Abstimmung aufrief, erklärte,
deren Ergebnis spreche für sich: »Wenn 90 oder 95 Prozent dafür
stimmen, kann man doch nicht behaupten, es sei kein Konsens zustande
gekommen«. »Wäre dieser Punkt, der ein zentrales Arbeitsergebnis
der Konferenz darstellte und von fast allen unterstützt wurde, nicht
abgestimmt worden, hätte man die Konferenz brüskiert«,
argumentierte der Gewerkschafter.
Zur Frage der Positionsbestimmung
auf derartigen Treffen wird es wohl noch weitere Diskussionen geben müssen.
Die Auseinandersetzung bedeute aber keinen Bruch des Bündnisses, betonten
beide Seiten auf jW-Nachfrage. »Es kann passieren, daß für einen
Moment die Emotionen hochkochen«, erklärte
Rätz.
»Wir sind uns bewußt, daß wir die
gemeinsame Arbeit über die europaweiten Aktionstage hinaus kontinuierlich
fortführen müssen«, heißt es in der auf der Konferenz
letztlich doch beschlossenen Erklärung.
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am 19.01.2004 um 21:46:46 Uhr
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