junge Welt vom 19.01.2004
Inland
Suche nach
»neuer Qualität«Aktionskonferenz in Frankfurt/Main
diskutierte Widerstand gegen SozialkahlschlagDaniel
Behruzi Fast 500 Aktivisten aus Gewerkschaften,
dem Netzwerk ATTAC, sozialen Initiativen, Erwerbslosenorganisationen sowie aus
Gruppen der Friedens-, Frauen- und Studierendenbewegung haben sich am Wochenende
in Frankfurt am Main getroffen, um den weiteren Widerstand gegen Bildungs- und
Sozialkahlschlag zu koordinieren. Einig waren sich die Teilnehmer der
Aktionskonferenz in ihrer Ablehnung der »Agenda 2010« und anderer von
der SPD-Grünen-Regierung betriebenen Kürzungen. »Wir brauchen
einen grundlegenden Wechsel der politischen Richtung«, forderte
Hans-Jürgen Urban vom IG-Metall-Vorstandssekretariat. »Diese
sogenannte Reformpolitik ist nichts anderes als brutalstmöglicher
Sozialabbau«, kritisierte Wolfgang Alles, Betriebsrat bei Alstom-Power in
Mannheim. Man müsse damit beginnen, »den neoliberalen Würgegriff
über das Land aufzureißen und 2004 zum Jahr einer neuen
außerparlamentarischen Opposition zu machen«, sagte er unter
großem Beifall.
Zu »Kristallisationspunkten« des
Protestes sollen internationale Aktionstage am 2. und 3. April werden, die auf
die Initiative des Europäischen Sozialforums und des Europäischen
Gewerkschaftsbundes zurückgehen. In Deutschland soll es nach bisheriger
Planung am 3. April eine zentrale Großdemonstration in Berlin geben,
möglicherweise ergänzt durch regionale Kundgebungen in Stuttgart und
im Ruhrgebiet. »Wir wollen dafür sorgen, daß zum Beginn des
Superwahljahrs die Proteste vom 1. November, als 100 000 auf der Straße
waren, deutlich übertroffen werden«, kündigte Peter Wahl von
ATTAC an. Am 2. April soll es laut Urban zu »ganz unterschiedlichen
Aktivitäten« kommen. So werde in Gewerkschaftskreisen derzeit
darüber diskutiert, an diesem Tag eine Konferenz zum Thema Mitbestimmung zu
organisieren.
Vielen Teilnehmern der Frankfurter Aktionskonferenz
gingen solche Überlegungen allerdings nicht weit genug. »Wer glaubt
denn ernsthaft, daß sich diese Bundesregierung allein von Demonstrationen
beeindrucken läßt?« fragte Georg Kümmel vom Kölner
Sozialforum. Letztlich seien Streikmaßnahmen notwendig, um etwas zu
erreichen. Andere Redner hoben die Schwierigkeiten hervor, die bei der
Mobilisierung der Beschäftigten zu Arbeitskampfmaßnahmen
bestünden.
Allgemein begrüßt wurde die Annäherung
der Gewerkschaften an die sozialen Bewegungen. In der Zusammenführung der
verschiedenen Kräfte liege »das eigentlich Positive«, betonte
Urban. Er zeigte sich zuversichtlich, daß die beteiligten Gruppierungen
trotz unterschiedlicher Ansichten letztlich zu gemeinsamen Positionen kommen
würden. Auch Wahl erklärte, das Zusammenwirken von sozialen Bewegungen
und Gewerkschaften sei »eine neue Qualität« und bilde die
Grundlage »für eine breite, außerparlamentarische
Opposition«. »Die Zeiten, in denen die Allparteienkoalition ihren Kurs
ohne massive Proteste durchsetzen kann, sind vorbei«, so das Fazit des
ATTAC-Vertreters.
Allerdings sahen sich die Gewerkschaften auch zum
Teil heftiger Kritik ausgesetzt. So beklagte Anne Alex vom »Runden Tisch
der Erwerbslosen«, die Gewerkschaften hätten »jahrelang diese
sogenannten Reformen, wie zum Beispiel das Hartz-Konzept, mitgetragen«.
Dennoch plädierte sie für Zusammenarbeit: »Wir brauchen die
Gewerkschaften, damit sie die Solidarität zwischen Beschäftigten und
Erwerbslosen praktisch organisieren«. Die Solidarität dürfe
»nicht am Betriebstor aufhören«, forderte sie. Ein Bündnis
dürfe es aber »nur auf gleicher Augenhöhe« und bei Bewahrung
der Unabhängigkeit der beteiligten Gruppen geben.
Auch die
weitere, gegen den Irak-Krieg bereits erprobte, Internationalisierung des
Protestes wird von den in Frankfurt versammelten Aktivisten angestrebt. In allen
europäischen Ländern werde ein neoliberaler Politikansatz verfolgt.
Deshalb mache es Sinn, europaweit koordiniert »für einen
Politikwechsel« auf die Straße zu gehen, erklärte der IG-Metaller
Urban.
Entscheidungen wurden von der Aktionskonferenz bis
Redaktionsschluß noch nicht gefällt. Am Sonntag abend sollte eine
Abschlußerklärung verabschiedet und die Planung von Aktionen
konkretisiert werden.
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Ausdruck erstellt am 19.01.2004
um 08:53:53 Uhr
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