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Die Löhne in Deutschland sind zu niedrig
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http://www.fr-aktuell.de/fr_home/startseite/?cnt=637307 Eine Senkung der
"Nebenkosten" würde die Binnennachfrage weiter schwächen, aber keine
Arbeitsplätze schaffen VON MICHAEL SCHLECHT
Der Standpunkt des Autors Es ist
verführerisch, unter dem Kostendruck der Arbeitgeber einer Senkung der so
genannten Lohnnebenkosten zuzustimmen, um Arbeitsplätze zu sichern.
Doch Michael Schlecht warnt: Es handelt sich hier um Lohnkosten,
die für Nachfrage von Rentnern, Arbeitslosen und im Gesundheitswesen
sorgen. Auch eine Erhöhung der Mehrwertsteuer als Ausgleich würde der
Binnennachfrage schaden. Schlecht ist Chefvolkswirt der
Dienstleistungsgewerkschaft Verdi. aud
Die Arbeitslosigkeit steigt und steigt. Im Januar 2005 wurde
erstmals seit Bestehen der Bundesrepublik die Fünf-Millionen-Grenze
überschritten. Aus Sicht der Unternehmer und vieler Politiker sind hohe
Lohnkosten für Krise und Arbeitslosigkeit verantwortlich. Wäre die
Arbeit billiger, würden mehr Menschen in Lohn und Brot kommen. Elegant
erscheinen da Forderungen, die "Lohnnebenkosten" - Beiträge der Arbeitgeber
vor allem zu den Sozialversicherungen der Beschäftigten - zu
senken.
Tatsächlich sind die "Lohnnebenkosten" Teil des
Arbeitslohns. Deshalb sind sie auch Teil des Arbeitnehmerentgelts, wie es das
Statistische Bundesamt ausweist. Wer die Senkung der "Lohnnebenkosten"
propagiert, will Löhne senken!
Das kleinere Übel?
Aus betrieblicher Sicht
scheinen wirtschaftliche Schwierigkeiten in der Tat an zu hohen Kosten zu
liegen. Bei schlechter Auftragslage und immer aggressiverem Preiskampf
rücken die Arbeitskosten ins Blickfeld. Da Betriebsräte und viele
hauptamtliche Gewerkschafter in betrieblichen Konflikten agieren, drängt
sich ihnen die Notwendigkeit der Kostensenkung als scheinbar bittere
Realität auf. Zur Vermeidung von Lohnkürzungen erscheint auch ihnen
die Senkung der "Lohnnebenkosten" als Ausweg. Die finanzielle
Beeinträchtigung der Sozialkassen sei in Anbetracht von Arbeitsplatzangst
und Druck auf die Löhne das kleinere Übel.
Für
Gewerkschafter, die sich nicht vom Schein der betrieblichen Verhältnisse
einfangen lassen, ist dies eine verhängnisvolle Sichtweise. Sobald man die
gesamt-wirtschaftlichen Folgen einbezieht wird klar: Löhne sind nicht nur
Kosten. Sie bestimmen gleichzeitig die gesamtwirtschaftliche Nachfrage. Dass
Betriebe Auftragsmangel haben, hat primär etwas mit der zu schwachen
Nachfrage zu tun. Mit Lohnkostensenkungen wird die Krise nur noch
verschärft.
Ebenso wie sinkende Löhne vermindern sinkende
"Lohnnebenkosten" die gesamt-wirtschaftliche Nachfrage. Die Beiträge zur
Sozialversicherung fließen über die Sozialversicherungen direkt in
Form von Arbeitslosengeld oder Renten den Haushalten zu, die damit ihre
Nachfrage finanzieren. Oder mit ihnen werden Sachleistungen wie Rollstühle
oder Krankenhausaufenthalte finanziert. Kürzungen führen also sofort
zu Einschnitten bei der Binnennachfrage.
Die zentrale Frage lautet:
Hat Deutschland überhaupt ein Lohnproblem? Die Antwort ist: Ja! Aber nicht
in Form zu hoher, sondern zu niedriger Löhne!
Deutschland ist
Exportweltmeister und hat seinen Exportüberschuss - Export minus Import von
Waren und Dienstleistungen - in den letzten Jahren rund verdreifachen
können. Und die Tendenz ist weiter steigend.
Allerdings hat
diese Weltmeisterschaft eine deutliche Kehrseite: Die schwache Binnennachfrage.
Der verteilungsneutrale Spielraum ist bei den Lohnerhöhungen seit 1980 um
rund 20 Prozent verfehlt worden. Stieg das Arbeitnehmerentgelt im Jahr 2000 noch
um 3,9 Prozent, ist 2004 der vorläufige Tiefpunkt mit einer Absenkung der
Arbeitseinkommen um - 0,1 (!) Prozent erreicht.
Die
schleswig-holsteinische Ministerpräsidentin Heide Simonis glaubt eine
Geheimwaffe gefunden zu haben: Umfinanzierung der "Lohnnebenkosten" durch eine
Erhöhung der Mehrwertsteuer. Eine Erhöhung der Mehrwertsteuer
führt jedoch zu höheren Preisen. Der höhere Nettolohn aufgrund
der verringerten Sozialversicherungsbeiträge der Beschäftigten
würde für viele durch die höheren Preise mehr als
aufgefressen.
Der
Mehrwertsteuer-Irrtum
Rentnerinnen und Rentner, Erwerbslose,
Empfängerinnen und Empfänger von Sozialhilfe, Bafög oder anderen
Sozialleistungen hätten sogar nur Nachteile. Sie müssten höhere
Preise zahlen ohne von einer Senkung von "Lohnnebenkosten" in irgendeiner Weise
zu profitieren.
Deshalb wäre die Senkung der "Lohnnebenkosten"
bei gleichzeitiger Gegenfinanzierung durch eine Erhöhung der Mehrwertsteuer
eine weitere Verschärfung der Umverteilung von unten nach oben. Die
Sozialversicherungs-Beiträge sind in den letzten 20 Jahren von 16 Prozent
auf über 20 Prozent gestiegen. Viele Beschäftigte fragen sich: "Ist da
nicht doch etwas faul?"
Das Problem ist, dass die Sozialversicherung
in Anbetracht der Beschäftigungskrise von einem kleiner gewordenen Kreis
von Menschen finanziert werden muss. Auch die "Minijobs" belasten die
Sozialkassen, weil keine vollen Beiträge gezahlt werden. Damit steigen die
Beiträge jedes einzelnen Beschäftigten, ohne dass sich die Kosten der
Sozialversicherung insgesamt nennenswert erhöht haben.
Eine
weitere Belastung der Sozialversicherung sind die Leistungen zur Finanzierung
der Deutschen Einheit. Die Beiträge könnten fast drei Prozentpunkte
niedriger liegen, wenn diese Kosten der Sozialversicherungen durch Steuern
aufgebracht worden wären.
Entscheidend ist, dass höhere
steuerfinanzierte Zuschüsse zu den Sozialversicherungen durch eine
stärkere Besteuerung von Gewinn- und Vermögenseinkommen finanziert
werden müssen. Eine Erhöhung der Mehrwertsteuer lehnen wir ab, da sie
besonders die unteren Einkommensschichten belasten und so zu weiteren
Ungerechtigkeiten führen würde.
Frankfurter Rundschau
online 2005 - Erscheinungsdatum 25.02.2005
Posted: Fr - März 25, 2005 at 05:50 nachm.
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