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Zur Agenda 2010 und den Argumenten gegen sie
Rainer Roth Zu den Hintergründen der Agenda 2010 und
den Argumenten gegen sie Vortrag im Kulturbahnhof in Bochum
17.10.2003
Quelle: http://www.klartext-info.de/
Zur Agenda 2010 und den Argumenten gegen sie
Rainer
Roth
Zu den Hintergründen der Agenda 2010 und den
Argumenten gegen sie
Vortrag im Kulturbahnhof in Bochum
17.10.2003
I) Zur neuen Sozialhilfe für
Erwerbsfähige, genannt "Arbeitslosengeld II"
Heute hat der
Bundestag mit Regierungsmehrheit das neue Herzstück der Hartz-Reformen
verabschiedet: die Abschaffung der Arbeitslosenhilfe für 1,7 Mio.
Arbeitslose. SPD und Grüne verwirklichen damit eine alte Forderung der
Bundesvereinigung der Deutschen Arbeitgeberverbände, der Dachorganisation
aller Verbände des Kapitals.
"Die Arbeitslosenhilfe ist mit
der Sozialhilfe zusammenzufassen. Einheitlich würden so nur noch die
Vorschriften für die Sozialhilfe gelten," verlangte die BDA im Mai 1998
zum wiederholten Male. (BDA, Sozialpolitik für mehr
Wettbewerbsfähigkeit und Beschäftigung, Köln 1998,
36)
Die Bundesregierung ist der Gerichtsvollzieher, der die
Zwangsvollstreckung dieser Forderungen des Kapitals an den Arbeitslosen
betreibt.
Die Abschaffung der Arbeitslosenhilfe wird für den
Staat insgesamt Einsparungen von mehreren Milliarden Euro ergeben. Denn bisher
liegt sie meist oberhalb der Sozialhilfe. Das Einkommen von PartnerInnen wird
ferner stärker herangezogen. Sie müssen alle Einkommen oberhalb ihres
Sozialhilfebedarfs für den arbeitslosen Partner einsetzen. 500.000
ehemalige Arbeitslosenhilfebezieher werden u.a. deshalb aus dem Bezug
herausfallen.
Aber entgegen den Versprechungen der
Regierungserklärung von 14.03.2003 liegt das neue Arbeitslosengeld II,
nicht auf, sondern unterhalb des jetzigen Sozialhilfeniveaus. Der neue
Regelsatz, der die einmaligen Beihilfen einschließen soll, soll im Westen
pauschal 345 Euro betragen. Das entspricht dem Niveau der gegenwärtigen
Grundsicherung für AltersrentnerInnen. Die Grundsicherung sollte angeblich
die Sozialhilfe ersetzen, wurde aber so niedrig festgesetzt, dass in der
Mehrheit der Fälle noch zusätzliche Anträge auf einmalige
Beihilfen der Sozialhilfe gestellt werden können. Zusätzliche
Anträge auf einmalige Beihilfen sollen aber bei Bezug von Arbeitslosengeld
II ausgeschlossen sein. Die Angehörigen der Arbeitslosen bekommen weiterhin
Sozialhilfe, umgetauft in Sozialgeld. "Für Kinder und Jugendliche im
Alter von 7 bis 17 Jahren liegen die Leistungssätze z.T. beträchtlich
unterhalb der bisherigen Sozialhilfe, ..." (Wilhelm Adamy, Beschleunigter
Abstieg in die Armut, FR 15.10.2003)
Die Kosten der Unterkunft und
Heizung werden nur noch getragen, soweit sie als angemessen gelten.
Übersteigen die tatsächlichen Aufwendungen den angemessenen Umfang,
sollen sie nur noch längstens ein halbes Jahr weiterbezahlt werden, aber
auch nur, wenn es nicht möglich oder zumutbar war, eine billigere Wohnung
zu finden. Was als angemessen gelten kann, zeigt das Beispiel von Kassel, wo die
angemessene Miete auf 237 Euro festgesetzt worden war. Das führte zu
hunderten von Räumungen wegen Mietschulden.
Auch mit der
Absenkung des Niveaus des Arbeitslosengelds II bzw. Sozialgelds unter das
Sozialhilfeniveau vollstrecken Schröder und Fischer eine alte Forderung der
Arbeitgeberverbände. Z.B. Arbeitgeberpräsident Hundt im März
1997:" Die Leistungen der Arbeitslosenversicherung und der Sozialhilfe
müssen gesenkt werden." (FR 26.03.1997)
Damit möglichst
viele Arbeitslose in den Genuss der neuen gekürzten Sozialhilfe ALG II
kommen, haben SPD und Grüne die maximale Dauer des Bezugs von
Arbeitslosengeld auf 12 Monate gesenkt (Ausnahme: 18 Monate für über
55-jährige). Auch das verwirklicht eine alte Forderung der
BDA.
Insgesamt werden in Zukunft 2,5 Mio. Arbeitslose ALG II
bekommen.
2,5 Millionen Menschen wird es jetzt zumutbar sein, auch zu
Löhnen unterhalb des Sozialhilfeniveaus zu arbeiten, z.B. Mini-Jobs
anzunehmen. Entgegen den Wünschen von Schröder und Fisvcher erzwungen
6 SPD-"Rebellen" das Zugeständnis, dass für idie Billigjobs wenigstens
ortsübliche Stundenlöhne bezahlt werden müssen. Dem aber wird die
CDU nicht zustimmen, so dass das spätestens im Vermittlungsausschuss wieder
fallen wird. Die sechs SPD-"Rebellen" werden dann nach Auffassung der Financial
Times Deutschland dem freien Fall der Löhne nach unten zustimmen, um die
SPD an der Macht zu halten.
Etwa zwei Drittel der 2,5 Millionen ALG
II-Empfänger hat einen Beruf gelernt hat.(Arbeitsmarkt 2002, Bundesanstalt
für Arbeit, Nürnberg 2003, 215) Gegen sie soll jetzt endlich
durchgesetzt werden, dass ihnen irgendwelche Arbeiten angeboten und aufgezwungen
werden, auch wenn sie dadurch ihre berufliche Qualifikation abschreiben
können.
2,5 Millionen Arbeitslosen ist es mit Hartz IV zumutbar,
gemeinnützige Arbeit bei Kommunen zu machen, wenn ihre Arbeitskraft auf dem
Arbeitsmarkt nicht verkäuflich ist. Die Kommunen erschließen sich neue
BilligarbeiterInnen, mit denen sie die Tarife des öffentlichen Dienstes
unterlaufen können. Es wird mit rd. 200.000 zusätzlichen
Zwangsarbeitern gerechnet. (Adamy in FR
15.10.2003)
2,5 Mio. Arbeitslose müssen
jetzt sogenannte Eingliederungsvereinbarungen abschließen, in denen
Sachbearbeiter, umgetauft in Fallmanager bestimmen, "welche Bemühungen
der erwerbsfähige Hilfebedürftige in welcher Häufigkeit zur
Eingliederung in Arbeit mindestens unternehmen muss und in welcher Form er die
Bemühungen nachzuweisen hat. (§ 15 Abs. 1 Nr. 2 des Vierten
Gesetzes für moderne Dienstleistungen am Arbeitsmarkt) Sie müssen vor
allem ausreichende Bewerbungen nachweisen, auch wenn z.Zt. auf immer mehr
Arbeitslose immer weniger offene Stellen kommen, z.Zt. auf elf Arbeitslose eine
offene Stelle. Die Bewerbungskosten tragen sie in der Regel selbst. Sie
können ferner verpflichtet werden, zu einer Schuldnerberatung, einer
Suchtberatung oder einer psychosozialen Beratung zu gehen oder einen
Kindergartenplatz anzunehmen usw.. Verstoßen sie gegen die
Eingliederungsvereinbarung oder nehmen zumutbare Arbeit nicht an, wird die neue
Sozialhilfe um 30% gekürzt, bei Jugendlichen unter 25 Jahren sogar
völlig gestrichen.
Die Abschaffung der
Arbeitslosenhilfe unter dem Namen des VW-Managers und IG-Metallmitglieds Hartz
zielt auf die Senkung staatlicher Ausgaben für Arbeitslose. Je weniger
Menschen das Kapital für seine Zwecke noch braucht, desto größer
wird das Interesse, die Kosten der Überflüssigen zu
senken.
Die Abschaffung der Arbeitslosenhilfe zielt aber vor allem
auf die Senkung des Lohnniveaus der Beschäftigten. Es ist kein Gesetz zur
Beseitigung von Fehlanreizen für Arbeitsunwillige ältere Arbeitslose,
sondern ein Gesetz, das auf Lohndumping zielt.
Eine riesige Armee von
Arbeitslosen in der Stärke von 200 Divisionen wird zu einem neuen Feldzug
gegen die beschäftigten LohnarbeiterInnen in Marsch gesetzt. Sie sollen die
Löhne drücken und normal bezahlte Arbeitskräfte verdrängen.
Offiziell heißt das Ganze: die größte Arbeitsmarktreform seit
Bestehen der Bundesrepublik. In Wirklichkeit ist es der stärkste Angriff
des Kapitals auf die LohnarbeiterInnen seit Bestehen der
BRD.
II) Wer sind die
Langzeitarbeitslosen?
Die Agenda 2010 greift vor allem diejenigen
an, die länger als ein Jahr arbeitslos sind, die sogenannten
Langzeitarbeitslosen. Denn Arbeitslosenhilfe gibt es ja erst nach einem
Jahr.
Schröder:" Wir setzen damit (mit der Agenda 2010) ein
deutliches Signal für diejenigen Menschen in unserer Gesellschaft, die
länger als zwölf Monate arbeitslos sind. Niemand ... wird es
künftig gestattet sein, sich zu Lasten der Gemeinschaft
zurückzulehnen." (Regierungserklärung vom
14.03.2003)
Wer sind die Langzeitarbeitslosen, die
sich in der Hängematte aalen? Es sind zu 60% Arbeitskräfte über
45 Jahre, deren Arbeitskraft oft schon durch Lohnarbeit verschlissen
ist.
Was für eine Heuchelei. Die Älteren, deren
Trägheit jetzt für ihre Arbeitslosigkeit verantwortlich gemacht wird,
gelten in den Unternehmen als Minderleister. Deshalb wurden und werden sie ja
verstärkt in die Arbeitslosigkeit bzw. Frührente verabschiedet. Ab 45
gilt man deshalb beim Arbeitsamt schon als schwer vermittelbar. Und die
Regierung, die die Ältere der Faulheit beschuldigt, fördert selbst die
Ausgliederung von Älteren, in dem sie z.B. die Sozialauswahl verändert
und unbeschränkt befristete Arbeit für über 50-jährige
erlaubt hat.
Es ist die mit steigender Produktivität sinkende
Nachfrage nach der Arbeitskraft Älterer, die zur Langzeitarbeitslosigkeit
geführt hat, nicht die Höhe bzw. die Dauer der
Arbeitslosenunterstützung oder die mangelnden Eigenbemühungen der
Arbeitslosen, die man jetzt endlich einfordern
müsste.
Die Bundesregierung stellt die Dinge
auf den Kopf. Sie greift die Arbeitslosen für etwas an, wofür das
Kapital verantwortlich ist. Auch damit zeigt sie, wessen Interessen sie
vertritt.
III) Sozialabbau, aber zur
Verwirklichung der sozialen Gerechtigkeit
Wie haben sich die rd.
200 Gewerkschaftsmitglieder von ver.di, IG Metall usw. im Bundestag und in der
Regierung verhalten? Sie haben der Abschaffung der Arbeitslosenhilfe zugestimmt.
Sie fallen damit den Arbeitslosen und allen Lohnabhängigen und
natürlich auch den Mitgliedern der Gewerkschaften in den Rücken. Sie
verkaufen sie billiger an das Kapital. Daran hört keine Kritik daran von
Seiten der Spitzen des DGB. Der DGB hat sich vielmehr darauf beschränkt,
durch Gespräche und Verhandlungen, durch Dialog mit den sozialabbauenden
Parteifreunden, den Sozialabbau sozial verträglich zu gestalten. Er ist
damit völlig gescheitert.
Die letzte Karte waren ein halbes
Dutzend Gewerkschaftsmitglieder, sogenannte Rebellen, die sich ihre Ja-Stimme
zur Abschaffung der Arbeitslosenhilfe mit ein paar bedeutungslosen
Zugeständnissen ebenfalls abkaufen ließen. Wer der Abschaffung der
Arbeitslosenhilfe zustimmt, ist kein Rebell.
Die Frankfurter
Rundschau schrieb, dass dieser Widerstand und die minimalen Zugeständnisse
die "ungenutzte Kraft" des Parlaments zeigen würde. Das zeigt,
welche Zugeständnisse hätten erreicht werden können, wenn die
"ungenutzte Kraft" der Millionen LohnarbeiterInnen genutzt worden
wäre. Vielleicht wären die Pläne der Regierung und die Regierung
selbst daran sogar gescheitert. Aber das wollten alle diejenigen nicht, denen
die Regierungsfähigkeit ihrer Partei wichtiger ist als die Interessen der
arbeitenden Menschen.
Es gilt als besser, selbst Sozialabbau zu
betreiben und das Tarifgefüge der LohnarbeiterInnen mit Hilfe der
Arbeitslosen zu untergraben, als es anderen zu
überlassen.
Die Bundesregierung möchte
Sozialabbau und Lohnabbau durchsetzen, aber sozial.
Sozial vor allem
deswegen, weil angeblich nur Sozialabbau das Sozialleistungssystem nachhaltig
rettet. Eine Illusionspille zwecks Produktion von Hoffnung.
Sozial
auch deswegen, weil es besser ist, die Sozialhilfe für Erwerbsfähige
nur um einige Prozent zu senken als um die 25% wie es der Deutsche Industrie-
und Handelskammertag und ihr Sprecher Edmund Stoiber fordern. Jemanden eine
Stunde zu verprügeln und ihm einen Arm dabei zu brechen ist eben sozialer
als jemanden zwei Stunden zu verprügeln und ihm zusätzlich noch drei
Rippen und ein Bein zu brechen.
Als sozial gerecht ist die
Abschaffung der Arbeitslosenhilfe der Führung von SPD und Grünen vor
allem auch deshalb, weil es ungerecht sei, dass langzeitsarbeitslose
ArbeitslosenhilfebezieherInnen trotz gleicher Lage mehr bekommen können,
als langzeitarbeitslose SozialhilfebezieherInnen, so Schröder in seiner
Regierungserklärung vom März.
Sozial verträglich, weil
zwar die Leistungen für Hunderttausende von Arbeitslosen erheblich sinken,
aber der Fall nach unten für ArbeitslosengeldbezieherInnen durch befristete
Zuschläge abgefedert wird und die frisch gebackenen
SozialhilfeempfängerInnen Vermögen, das sie sowieso meistens nicht
mehr haben, in etwas höherem Umfang behalten können.
Das
Soziale heuchelt Verständnis und Rücksichtnahme, wo keine ist. Es ist
nur noch das Schmieröl, mit dem der Sozialabbau durchgesetzt wird. Deshalb
wurde die SPD in Wiesbaden schon zur Sozialabbau Partei Deutschlands umgetauft
und die Gründung einer Kapitalistischen Einheitspartei Deutschlands (KED)
vorgeschlagen, zu der sich SPD und CDU vereinigen sollten.
Im
SPD-Wahlprogramm 2002 steht noch, dass es ein Zeichen der besonderen
Verantwortung für die Schwächeren ist, die Arbeitslosenhilfe nicht auf
Sozialhilfeniveau abzusenken. Genauso tönten die
Grünen.
Die Abschaffung der Arbeitslosenhilfe und die Senkung
unter das Sozialhilfeniveau zeigt: Verantwortung für die
Schwächeren hat weder die Bundesregierung, noch das Kapital. Das Kapital
hat letztlich nur die Verantwortung für seine eigenen Vermehrung. Und die
Bundesregierung unterstützt es dabei.
Alle diejenigen, die diese
Regierung im Amt halten, setzen sich damit objektiv dafür ein, dass der
Sozialabbau ohne Verzögerung umgesetzt wird.
Alle diejenigen,
die sich von der SPD und denen mit ihnen verbundenen Gewerkschaftsführern
nicht einmachen lassen wollen, können das auf der bundesweiten
Demonstration gegen die Agenda 2010 am 1.11. in Berlin zeigen. Sie lässt
hoffen, dass die Fähigkeit, die eigenen Interessen den Interessen des
Kapitals entgegenzustellen, in Zukunft zunehmen wird. Diese Demonstratin
wäre nicht möglich , wenn es nicht Keimformen selbständiger
Organisationsformen der LohnarbeiterInnen geben
würde.
Um selbständig gegenüber den
Interessen des Kapitals handeln zu können, ist es aber auch notwendig, im
Kopf aufzuräumen. Es ist einmal notwendig, die Propagandaphrasen zu
widerlegen, mit denen die Interessen des Kapitals als Allgemeininteressen
verkauft werden. Und es ist zweitens notwendig, die eigenen Argumente zu
überprüfen.
IV) Zur
Propaganda des Kapitals und der Bundesregierung
Die Agenda 2010
wird damit u.a. begründet, dass der Staat kürzen müsse, weil die
Kassen leer sind. Die Sozialleistungen seien nicht mehr finanzierbar. Wer nur
seine Besitzstände verteidigt, verkenne die Realität
usw..
* Die Kassen sind leer
Es
stimmt: die Kassen sind leer. Aber wer hat
reingegriffen?
Die Körperschaftssteuer sank
von 23,6 Mrd. im Jahr 2000 auf - 426 Mio. 2001 bzw. 2,8 Mrd. Euro 2002. Und auch
2003 werden nur 6,6 Mrd. erwartet. Das hat den Bundeshaushalt und die
Länderhaushalte massiv erschüttert.
Diese gewaltige
Steuerreform hatte angeblich den Zweck mehr Investitionen zu finanzieren und die
Arbeitslosigkeit zu bekämpfen. Das Gegenteil war der Fall. Die
Nettoinvestitionen der nicht-finanziellen Kapitalgesellschaften brachen nach den
neuesten Angaben der Bundesbank von 67 Mrd. Euro im Jahr 2000 auf 48 Mrd. Euro
2001 und 17 Mrd. Euro 2002 ein. (Monatsberichte der Deutschen Bundesbank 6/2003,
35) Die Arbeitslosigkeit stieg um
Hunderttausende.
Die Gewinnsteuersenkungen dienten
ausschließlich der Profitaufbesserung in der Krise. Nach Angaben des
Statistischen Bundesamtes blieben die Bruttogewinne aller Kapitalgesellschaften
von 2000 bis 2002 etwa gleich. Sie pendelten um 290 Mrd. Euro. 2002 fielen sie
um 3,7%. Aber die Nettoprofite waren im Krisenjahr 2002 dank der Steuerreform um
16 Mrd. Euro höher als im Aufschwungjahr 2000. (Fred Schmid, Tatjana Fuchs,
Bilanz 2002, isw-wirtschaftsinfo Nr. 35, 34)
Die Steuersenkungen
waren ausschließlich ein Mittel des Kapitals, die Folgen der Krise für
seine Profite auf den Rücken der Mehrheit der LohnarbeiterInnen
abzuwälzen. Denn die Gewinnsteuersenkungen werden mit
Ausgabenkürzungen zu Lasten der Arbeitslosen und der LohnarbeiterInnen als
Ganze refinanziert.
Steuersenkungen sind ebenso
Subventionen wie Steuervergünstigungen. Sie sind indirekte
Subventionen.
Keine Leistung ohne Gegenleistung, tönt die
Bundesregierung gegenüber den Arbeitslosen. Sie setzt das Prinzip
"Fördern und Fordern" gegen Arbeitslose durch und bestraft die, die zu
wenig Gegenleistung bringen mit der Kürzung oder Streichung der
Leistung.
Gegenüber dem Kapital aber heißt das Prinzip der
Bundesregierung: Leistung ohne Gegenleistung, Milliarden an Steuersubventionen
ohne jede Gegenleistung. Und kein Gedanke an Streichung der Leistung, wenn es
keine Gegenleistung gibt. Im Gegenteil: weil es keine Gegenleistung gibt, wird
die Leistung erhöht. Die Gewinnsteuern sollen weiter gesenkt werden. Bei
Arbeitslosen werden Leistungen gekürzt, um Fehlanreize zu beseitigen. Beim
Kapital werden die Leistungen erhöht, um weitere Anreize zu schaffen, die
keinerlei Wirkung für die Reduzierung der Arbeitslosigkeit
haben.
Die Vermehrung des Kapitals durch Steuersenkungen ist
offensichtlich die Gegenleistung an sich, der Anreiz an sich, der Zweck an sich,
der Selbstzweck, dem alles unterworfen ist.
Den Zweck, dem Profit um
des Profits willen oder der Profitraten willen zu vermehren, können
LohnarbeiterInnen nicht anerkennen. Sie haben kein Interesse daran zu
verzichten, damit die Nettoprofite der Kapitalgesellschaften in der Krise
höher sind als im Aufschwung, während
Arbeitslosenunterstützungen, Renten und Löhne
sinken.
Mit Kürzungen u.a. bei Arbeitslosen
(und natürlich bei RentnerInnen) werden die Haushaltslöcher, die der
Raubzug der Kapitalgesellschaften an den Staatsfinanzen aufgerissen hat,
gewissermaßen rückversichert.
Diese Steuerreform muss
rückgängig gemacht werden, wenn man das nicht
will.
5 Mrd. Euro Körperschaftssteuer
jährlich werden nur gezahlt, weil die Steuerprüfung sie aufspürt.
Insgesamt versuchen Großunternehmen nach Angaben von ver.di 10 Mrd. Euro
jährlich am Finanzamt vorbeizuschmuggeln und werden dabei ertappt. Es gibt
nicht genügend Steuerprüfer. Allein bei den Finanzbehörden in
Hessen fehlen nach Angaben der hessischen Finanzverwaltung 1.800
Steuerprüfer. (FR 07.10.2003) Die regierenden Parteien sorgen dafür,
dass die Kassen von den Konzernen geleert werden und sie sorgen auch dafür,
dass sie nicht einmal die Steuern zahlen, die sie zahlen
müssten.
Es wäre möglich, die gesamten Kosten der
Unterstützungen für Langzeitarbeitslose nur über
flächendeckende Steuerprüfungen der großen Unternehmen zu
finanzieren. Ganz ohne Steuererhöhung.
Aber lieber steigen
Behörden und Medien den Florida-Rolfs und Viagra-Kalles hinterher, die ein
paar Dutzend oder ein paar hundert Euro monatlich legal erstritten haben, als
den Konzernen, die Milliarden am Finanzamt vorbeischleusen. Sie können die
Staatskassen ganz anders plündern als irgendein ehemals selbständiger
Sozialhilfeempfänger es kann, der noch irgendwo eine Segelyacht versteckt
hat.
Die Senkung des Spitzensteuersatzes von 48,5%
auf 42%, die erst für 2005 geplant war, wird auf 2004 vorgezogen.
Schließlich ist es ein Teil des Kampfs für die soziale Gerechtigkeit,
dass die Steuersätze des Mittelstands nach und nach möglichst auf den
Satz gesenkt werden, den die Konzerne an Körperschaftssteuer zahlen,
nämlich 25%. Die Manager der Banken und Konzerne, aber auch der Kanzler und
die Ministerpräsidenten lassen sich über den Bundestag Mehreinnahmen
zukommen, während den Arbeitslosen Einkommen entzogen, weil es angeblich
Fehlanreize wären. Die Vorstände der Deutschen Bank mit ihren
durchschnittlich 7 Mio. € Jahresgehalt bekommen dann rd. 30.000 €
mtl. mehr.
Alle die, die den Sozialabbau bei Arbeitslosen
organisieren, bedienen sich gleichzeitig selbst mit Steuersenkungen. Die
Einkommenserhöhung für sich und die Kürzung bei den Arbeitslosen
haben sie am gleichen Tag beschlossen. Und die Gewerkschaftsmitglieder im
Bundestag, durch die wirklich ein Ruck gegangen sein muss, stehen in Treue fest
zur nationalen Verantwortung, dass die Reichen sich bereichern müssen.
Deren Bereicherungstrieb führt allein durch die vorgezogene Senkung des
Spitzensteuersatzes zu Steuerausfällen von 6 Mrd. €. Mit
Sozialabbau bei Rentnern und Arbeitslosen wird das refinanziert. Die
Spitzenverdiener mit über 50.000 € Jahreseinkommen werden mit
insgesamt 10,5 Mrd. € bedient.
Auch diese Steuersenkungen
sind eine Kriegserklärung an die LohnarbeiterInnen, denn diese müssen
sie letztlich mit Ausgabenkürzungen bezahlen. Und sollten sie netto mehr in
der Tasche haben, werden sie mit höheren Eigenanteilen bei der
Sozialversicherung bzw. der Kürzung der Kilometerpauschale zur Kasse
gebeten.
Die Steuerreform, sofern sie die Reichen begünstigt,
darf weder vorgezogen werden, noch 2005 in Kraft
treten.
Wenn LohnarbeiterInnen die
Rücknahme von Gewinnsteuersenkungen verlangen, verlangen sie nur, dass ein
größerer Teil des Profits, den sie selbst erarbeitet haben, für
ihre Zwecke zur Verfügung steht.
* Die
demografische Entwicklung zwingt zum Abbau der Sozialausgaben
Wir
haben schon gesehen, dass die steigenden Ausgaben für Arbeitslose ohne
Probleme finanzierbar wären, wenn das Kapital die Staatskassen nicht
ausplündern würde.
Das Kapital ist aber auch
hauptverantwortlich für die Steigerung der Sozialausgaben, die es so laut
beklagt.
Bergbau und Verarbeitende Industrie haben
die Zahl der insgesamt gearbeiteten Arbeitsstunden zwischen 1991 und 2001 um ein
Drittel gesenkt, nämlich von 9,2 Mrd. Stunden auf 6,2 Mrd. Arbeitsstunden.
(Jahresgutachten des Sachverständigenrats 2002/2003,
461)Phantastisch.
Der Umsatz pro IndustriearbeiterIn stieg von 1991
bis 2001 um das doppelte auf 337.000 Euro pro Arbeiter. (ebenda, 459, 461,
eigene Berechnung) Um die Produktivität um 100% zu steigern, wurden 2,1
Mio. Arbeiterinnen und Arbeiter abgebaut. Begünstigt wurde das dadurch,
dass die Arbeitszeit faktisch nicht mehr verkürzt wurde. Die
Arbeitslosenquote der Arbeiter in Westdeutschland stieg auf rd. 16% im Jahr
2002. Die Arbeitslosenquote der Angestellten ist nur halb so
hoch.
Vor allem ältere ArbeiterInnen werden
nicht mehr gebraucht. Deshalb stieg die Langzeitarbeitslosigkeit auf über
50%. Die mit steigender Produktivität Aussortierten werden vom Kapital in
die Arbeitslosigkeit und in die Rente
verabschiedet.
Arbeitslosengeld und Arbeitslosenhilfe sind für
etwa eine Million Menschen, überwiegend ArbeiterInnen, schon eine Art
Rente. Das sind rd. 20% der Arbeitslosen.
Darüber hinaus ist die
Rente für 700.000 Rentner, überwiegend Arbeiter, eine Art
Arbeitslosengeld, denn sie sind wegen Arbeitslosigkeit in Rente. Von der
wachsenden Zahl der Frührentner wg. Verschleiß ganz zu schweigen. Kein
Wunder, dass auch die Rentenversicherung, vor allem die
Arbeiterrentenversicherung tief in der Krise
steckt.
Die "Fehlanreize" des Sozialstaates sind
nicht die Ursache der Arbeitslosigkeit. Und die "demografische Entwicklung" ist
nicht die Ursache der Krise der Rentenversicherung. Der sogenannte demografische
Faktor ist eher ein demagogischer Faktor.
Was ist
die demografische Entwicklung? Die Bundesanstalt für Arbeit definiert sie
als Trend, "dass mehr ältere Menschen aus dem Erwerbsleben ausscheiden
als junge nachrücken." (Arbeitsmarktstatistik 2002, 35) Oder anders
ausgedrückt: Immer weniger Erwerbstätige müssen immer mehr
RentnerInnen ernähren. Deshalb sollen die Renten durch einen
"demografischen Faktor" jeweils dann weniger steigen bzw. gesenkt werden, wenn
sich dieses Verhältnis zu unungunsten der Erwerbstätigen weiter
verändert.
Nur, es ist nicht eine
demografische Entwicklung, sondern das Kapital, das mit wachsender
Produktivität einen geringeren Bedarf an Erwerbstätigen, d.h. an Ware
Arbeitskraft hat. Das Kapital, nicht ein Bevölkerungsgesetz, vermindert die
Zahl vor allem der erwerbstätigen ArbeiterInnen. Und das Kapital hindert
mit steigender Produktivität auch immer mehr junge Leute daran,
überhaupt dauerhaft ins Erwerbsleben einzurücken. 30% aller
Jugendlichen unter 25 Jahren haben nur eine befristete Stelle, viele Jugendliche
sind arbeitslos oder drehen Warteschleifen. Das ist das Problem, nicht die
egoistische Zurückhaltung der Kinderlosen, Kinder, d.h. zukünftige
LohnarbeiterInnen in die Welt zu setzen. Es gibt keinen Mangel an
Arbeitskräften, sondern einen wachsenden Überfluss vor allem an
ArbeiterInnen.
Vor allem die
Arbeiterrentenversicherung ist in der Krise. Die Einnahmen aus den
Sozialversicherungsbeiträgen zur Arbeiterrentenversicherung sind in
Deutschland von 1991 bis 2000 um nicht einmal 18 Mrd. DM gestiegen. Die
Ausgaben für die Arbeiterrenten aber im selben Zeitraum um 81 Mrd.
DM.
Die Industrie hat in Gesamtdeutschland in diesem Zeitraum zwei
Millionen ArbeiterInnen abgebaut bzw. ein Drittel aller ArbeiterInnen.
(Jahresgutachten des Sachverständigenrats 2001/2002, Stuttgart 2001, 427)
Die Zahl der Pflichtversicherten sank ebenfalls um zwei Millionen. Gleichzeitig
stieg aber der Rentenbestand in der Arbeiterrentenversicherung um über 2
Millionen Personen. (Rentenversicherung in Zeitreihen, Verband Deutscher
Rentenversicherungsträger, Frankfurt Juli 2002, 142)
Das Kapital
hat so viele ArbeiterInnen in Deutschland entsorgt, vor allem im Osten, dass
heute rd. 40% einer Arbeiterrente vom Staat bezahlt werden müssen,
während es 1991 erst 24% waren. (Rainer Roth, Nebensache Mensch,
Arbeitslosigkeit in Deutschland, Frankfurt 2003, 434)Denn der Staat ist der
Ausfallbürge, der die riesigen Löcher der Arbeiterrentenversicherung
genauso deckt wie die riesigen Löcher der Arbeitslosenversicherung. Der
Bund ist der Puffer, der die von der Kapitalverwertung verursachte Krise der
Sozialversicherung abfedert.
Die Krise der Arbeiterrentenversicherung
brach in den neunziger Jahren aus, obwohl die Lebenserwartung männlicher
Arbeiter sank und die Versicherungszeiten der RentnerInnen gestiegen sind. Auch
die Frühverrentungen haben nicht dazu geführt, dass das
durchschnittliche Eintrittsalter in die Rente in den neunziger Jahren bei
ArbeiterInnen gefallen wäre.
Das Kapital
benötigt nur die Menschen als Arbeitskräfte, die der beschränkte,
engstirnige Zweck der Kapitalvermehrung zulässt. Und das sind mit
steigender Produktivität immer weniger. Für die, die es entsorgt, will
das Kapital aber keinerlei Verantwortung übernehmen. Das würde seine
Profite beeinträchtigen. Das Kapital verweist die Arbeitslosen und in die
Rente Entlassenen auf Eigenverantwortung. Es selbst ist jedoch für nichts
verantwortlich, außer für seine eigene Vermehrung. Die
Verantwortungslosigkeit gegenüber der Gesellschaft ist die Voraussetzung
seiner Eigenverantwortung für sich selbst. Das und nicht der Umstand, dass
immer mehr Alte auf immer weniger Junge kommen, macht es notwendig, die Krise
der Sozialversicherung auf dem Rücken der RentnerInnen selbst zu
"lösen".
Diejenigen, die immer weniger
Arbeitskräfte für ihre Profitzwecke brauchen und dadurch die Krise der
Staatsfinanzen und der Sozialversicherung erzeugen, sollen auch für sie
bezahlen. Das muss der Standpunkt der LohnarbeiterInnen sein.
Es
muss eine einheitliche Rentenversicherung geben, die die private
Rentenversicherung vollständig ersetzt. Kapitalgedeckte Renten sind keine
Lösung, sondern dienen nur der Kapitalverwertung der Versicherungskonzerne.
Sollten Zuschüsse zur Rentenversicherung notwendig sein, müssen sie
aus Unternehmensabgaben gezahlt werden.
Die
Produktivität der (noch) Beschäftigten ist erheblich gestiegen. Immer
weniger Beitragszahler können also auch immer mehr RentnerInnen
ernähren, so wie immer weniger Landwirte immer mehr Menschen ernähren
oder immer weniger IndustriearbeiterInnen die notwendigen Produkte für
immer mehr Menschen erzeugen.
Aus Umfragen geht
hervor, dass 69% der Befragten glauben, mit Einschnitten bei Sozialleistungen
könnten die sozialen Sicherungssysteme weiterhin finanzierbar bleiben. (FR
04.10.2003, 7) Das ist eine Illusion, denn die steigende Produktivität, die
daraus entspringende Arbeitslosigkeit und die immer wiederkehrenden
Überproduktionskrisen lassen es nicht zu, dass irgendetwas nachhaltig
konsolidiert werden kann. Die Reformen dienen nicht der Sicherung der
Sozialleistungen, sondern dem Abbau. Genauso wie Entlassungen auch nicht der
Sicherung der verbleibenden Arbeitsplätze dienen, sondern nur der
Vorbereitung weiterer Entlassungen.
Das
Kapital selbst erzeugt, das periodisch immer wieder wesentlich mehr Waren und
Kapital produziert, als auf den Märkten verkaufbar und verwertbar
wäre. Es sind Überproduktionskrisen, die sich in geringeren
Wachstumsraten wiederspiegeln. Nicht die Regierungspolitik, sondern das
Wirtschaftssystem ist dafür verantwortlich.
Diejenigen, die die
Krise verursachen, sollen auch für sie aufkommen, wenn sie es nicht besser
können.
Wir sehen mit der Agenda 2010 das genaue Gegenteil: Die
LohnarbeiterInnen sollen nach dem Willen der Parteien des Kapitals für die
Krise aufkommen.
Das Kapital will Löhne in Kapital verwandeln,
ebenso wie Sozialversicherungsbeiträge, Arbeitslosenunterstützungen,
Sozialhilfe, Steuern, Staatsausgaben, Staatsunternehmen usw., um die Renditen zu
erhöhen, die in der Wirtschaftskrise fallen. Es will sich selbst auf Kosten
der Mehrheit aus der Krise retten. Das ist der einzige Zweck der Agenda 2010,
der Steuerreformen, der Rentenreformen, der Gesundheitsreformen
usw..
Nur wenn die LohnarbeiterInnen die Valiumtabletten leerer
Versprechungen nicht mehr schlucken, nur wenn sie nicht auf ihre Kappe nehmen,
was das Kapital zu verantworten hat, können sie die notwendige
Entschlossenheit aufbringen, sich zu
verteidigen.
V) Zum Widerstand gegen die Agenda
2010
Schröder und Fischer behaupten: Zur Agenda 2010, d.h.
zu massiven Kürzungen bei den LohnarbeiterInnen, ob beschäftigt,
arbeitslos oder in Rente, gibt es keine Alternative. Dasgleiche behauptet Roland
Koch über sein Sparpaket. Letztlich geht es darum, dass es zur Unterordnung
unter die Interessen des Kapitals keine Alternative geben soll. Regierungen und
Parteien, die so reden, streben den Ausschluss der LohnarbeiterInnen aus dem
politischen Leben an. Sie wollen resignierte und ohnmächtige
Unterordnung.
Die arbeitenden Menschen sollen ihr Schicksal ein paar
Funktionären aus Politik und Wirtschaft überlassen. Die Deutsche
Demokratische Republik lebt.
Was die SPD gemeinsam
mit ihrer Schwesterpartei CDU umsetzt, entspricht der Richtung, die die
Dachorganisation der Arbeitgeberverbände vorgibt. Es geht im gesamten
politischen Leben in Berlin nur um das Tempo, mit der die Ziele des Kapitals
umgesetzt werden, nur um die Taktik, nur um das Ausmaß der
Zugeständnisse an die arbeitende
Bevölkerung.
Infratest hat in einer Umfrage
festgestellt, dass 71% der Befragten glauben, dass die Reformvorhaben der SPD zu
sehr auf die Bedürfnisse der Wirtschaft ausgerichtet sind und die
Bedürfnisse der kleinen Leute zu kurz kommen. (FR 04.10.2003) Immer noch
glauben viele, dass es einen gerechten Ausgleich zwischen Arm und Reich,
zwischen Kapital und LohnarbeiterInnen geben
könnte.
Und deshalb richten sich die Argumente
der Kritiker der Agenda 2010 vielfach weniger an die Menschen, die unter die
Räder kommen, sondern an das Kapital selbst, damit es sozial ausgewogener
wird und soziale Schieflagen bei den Reformen beseitigt.
Es soll
davon überzeugt werden, dass die Sparmaßnahmen letztlich gar nicht in
seinem Interesse liegen würden.
Arbeitslose
als Kaufkraftfaktor
Weit verbreitet ist das Argument, dass die
Kürzungen bei Arbeitslosen die Kaufkraft schwäche und damit auch den
Unternehmen schadeten, die weniger Waren verkaufen und deshalb weniger Gewinne
machen könnten.
Es stimmt, dass Einzelhändler, Gastronomen,
Bäcker usw. unter der Senkung der Arbeitslosenunterstützung ebenfalls
leiden.
Der Appell an das Kapital, aus eigenem Profitinteresse die
Arbeitslosen zu schonen, verkennt aber, dass die Profitinteressen des
Gesamtkapitals eben gerade durch die Kürzungen besser befriedigt
werden. Denn die Steuersenkungen zu refinanzieren, das Lohnniveau zu
drücken und die Aussicht auf die Senkung der Arbeitgeberbeiträge zur
Arbeitslosenversicherung sind erheblich stärkere Profitanreize als die
Aussicht, dass Arbeitslose noch einen Milchkaffee im Bistro um die Ecke trinken
können.
Das Kapital soll der Verbündete der Arbeitslosen
sein. Problem ist nur, dass es noch nichts davon weiß. Also muss es ihm
erklärt werden. Auf dieser Basis ist keine selbständige
Interessenvertretung der Arbeitslosen möglich. Sie dürfen ihre
Interessen nämlich nur vertreten, wenn sie ihren Nutzen für das
Kapital nachweisen. Sie haben keinen Nutzen in sich selbst, als Menschen mit
berechtigten Bedürfnissen. Mit dieser Haltung kommen wir nicht
weiter.
Die theoretische Grundlage dieser leicht unterwürfigen
Haltung hat der "SPD-Rebell" Ottmar Schreiner so formuliert:" Ursache
für die ökonomischen Probleme ist zu allererst die schwache Nachfrage
auf dem Binnenmarkt." (metall 5/ 2003, 9) Folglich müsste das Kapital,
um die ökonomischen Probleme zu lösen, Löhne und Sozialleistungen
erhöhen. Das würde aber seine Profite beeinträchtigen. Und es
will einfach nicht einsehen, dass ein gegenwärtiger Profitverzicht
zugunsten der LohnarbeiterInnen langfristig höhere Profite einbringen
würde.
Angriff auf den
Sozialstaat
Oft wird erklärt, dass mit der agenda 2010 das
Sozialstaatsprinzip angegriffen würde oder sogar der Sozialstaat
zerschlagen würde.
Der Angriff richtet sich aber nicht gegen den
Staat, sondern gegen die Arbeitslosen und vor allem die Gesamtheit der
LohnarbeiterInnen. Man müsste also aufzeigen, wie dieser Angriff auf die
Arbeitslosenhilfe auf die Löhne wirkt, von wem er ausgeht und wem er
nützt. Das ist die Grundlage für das Bündnis zwischen
arbeitslosen und beschäftigten LohnarbeiterInnen, das notwendig ist, um die
Konkurrenz der LohnarbeiterInnen untereinander
abzumildern..
Stattdessen wird eine Argumentation aufgebaut, dass die
LohnarbeiterInnen eine Erscheinungsform des Staats verteidigen müssen und
sich der Angriff gegen den gegenwärtigen Staat richtet.
Dabei
haben gerade Arbeitslose keine guten Erfahrungen mit dem sogenannten Sozialstaat
gemacht, der ihnen in Form von Arbeitsämtern und Sozialämtern
entgegentritt. Von Sozialhilfe z.B. kann man kaum leben. Und jetzt sollen sie
ihn verteidigen?
Warum dürfen sie sich nicht selbst verteidigen,
einfach als Menschen? Es ist richtig, dass die Interessen von Arbeitslosen auch
eine gesetzliche Form haben müssen. Aber vorrangig sind ihre
Bedürfnisse, die sie ohne den Umweg über die Interessen des Kapitals
und ohne Umweg über die Interessen des Sozialstaates verteidigen
sollten.
Angriff auf den sozialen
Frieden?
Immer wieder hört man, dass nicht gekürzt
werden sollte, um den sozialen Frieden nicht zu gefährden. In Hessen gibt
es Aufrufe des DGB und der Wohlfahrtsverbände, dass die Kürzungen bei
sozialen Einrichtungen den sozialen Frieden gefährden würden und
deswegen im eigenen Interesse derjenigen, die die Kürzungen durchsetzen
wollen, unterbleiben sollten.
Das bedeutet:
Arbeitslosenunterstützung soll nicht etwa in ausreichender Höhe
gezahlt werden, weil Menschen das brauchen, sondern damit sie friedlich bleiben
und nicht unruhig werden. Stütze als eine Art Ruhestandsgeld und
Schweigegeld.
Das Kapital soll davon überzeugt
werden, dass es dafür zahlen soll, wenn es seine Ruhe haben
will.
Was aber, wenn es den sozialen Frieden auch billiger haben
kann? Haben die Führer der DGB-Gewerkschaften nicht bewiesen, dass sie
gegen den größten Angriff auf die LohnarbeiterInnen nicht einmal zu
einer bundesweiten Demonstration von Hunderttausenden aufrufen, geschweige denn
einen Generalstreik vorbereiten? Der soziale Friede ist also auch billiger zu
haben.
Angesichts dessen, dass Beschäftigte gegen Arbeitslose
und Arme aufgehetzt, dass Junge gegen Alte aufgebracht werden, die ihnen
angeblich auf der Tasche liegen, kann man gar nicht davon sprechen, dass das
Kapital den sozialen Frieden will. Es will nur, dass die LohnarbeiterInnen mit
dem Kapital und seiner Profitsucht Frieden schließen. Das setzt den
maximalen Unfrieden innerhalb der Reihen der LohnarbeiterInnen
voraus.
Umgekehrt: der soziale Frieden unter den Lohnabhängigen
setzt voraus, dass man gemeinschaftlich vorgeht und keinen Frieden mit dem
Kapital
schließt.
Verteilungsgerechtigkeit
Es
ist völlig klar, dass Forderungen gegenüber dem Kapital aufgestellt
werden müssen, in denen sich die Interessen der LohnarbeiterInnen
ausdrücken. Sie reichen von ausreichenden Mindestlöhnen, über
30-Stunden-Woche bei vollem Lohnausgleich usw. bis zu einer ausreichende
Grundsicherung für alle Arbeitslosen und RentnerInnen.
Es ist
auch richtig, dass die LohnarbeiterInnen einen ungeheuren Reichtum geschaffen
haben, der objektiv ausreichen würde, um solche Forderungen zu befriedigen.
Mehr noch, das Kapital weiß mit diesem Reichtum immer weniger anzufangen
und verzockt ihn zum guten Teil.
Es muss also Geld umverteilt werden.
Im Wunsch nach gerechtigkeit drückt sich der Wunsch nach anderen
Verhältnissen aus.
Was aber, wenn die Verhältnisse, in
denen das Kapital regiert, dazu führen, dass immer die Zahl der
Überflüssig gemachten Arbeitskräfte mit steigender
Produktivität zunimmt, dass immer mehr Selbständige baden gehen und
die Verfügung über Kapital sich in immer weniger Händen
konzentriert, dass folglich die Reichen immer reicher und die Armen immer
ärmer werden? Eine Welt, in der die Schere zwischen Armut und Reichtum
aufgrund der Logik der Kapitalverwertung immer mehr auseinandergeht, in der die
Manager sich selbst bedienen und die ArbeiterInnen für immer weniger Geld
mehr arbeiten müssen, eine Welt, in der die Schickeria an einem Wochenende
auf den Kopf hauen kann, wofür andere ein Jahr arbeiten müssen, eine
solche Welt, die auf privater Bereicherung, nicht auf Solidarität beruht,
kann nicht gerecht sein.
Auch wenn die Gewinnsteuern wieder
erhöht würden und die Vermögenssteuer wiedereingeführt
wäre, wäre keine Steuergerechtigkeit hergestellt, denn die Steuerquote
des Kapitals ist immer noch langfristig gefallen, während die der
LohnarbeiterInnen gestiegen ist.
Das Kapital wünscht keine
soziale Gerechtigkeit, bei der es die Berge an Reichtum, die es aus der Arbeit
der LohnarbeiterInnen gezogen hat, an Bedürftige zurückverteilt.
Würde es das wollen, wäre es kein Kapital
mehr.
Schluss
Schröder sagte
am 1. Mai in Neu-Anspach:" Wer glaubt festzuhalten an dem, was althergebracht
ist, der verkennt die
Herausforderungen."
Genau.
Althergebracht ist zu
glauben, dass die Probleme dieser Gesellschaft gelöst werden können,
wenn man nur die Privatinteressen des Kapitals und der Reichen befriedigt, wenn
man auf ein Bündnis mit dem Kapital hofft, um die Problem zu
lösen.
Die Hoffnungen, die sich darauf richten, sind
realitätsferne Träumereien.
Wir brauchen
radikale Reformen. Wir können uns nicht darauf beschränken, den
gegenwärtigen Zustand zu verteidigen. Wir brauchen aber keine Reformen, die
nur dem Zweck dienen, die Sonderinteressen der Kapitalbesitzer zu
befriedigen.
* Die Sozialversicherung muss komplett
umgebaut werden, nicht zugunsten der Allianz, sondern gegen sie.
* Es
geht nicht mehr so weiter, sagt die Regierung. Das stimmt.
Es geht
nicht mehr so weiter, dass die Produktivität, statt Quelle wachsenden
Wohlstands der arbeitenden Menschen zu sein, dazu genutzt wird, um den
Lebensstandard derjenigen immer weiter abzusenken, die den Reichtum produzieren.
Dazu genutzt, die Arbeitszeit zu verlängern, statt sie zu verkürzen,
dazu genutzt wird, den Konkurrenten mitsamt ihrer Beschäftigten in den Ruin
zu treiben, statt allen zu gute zu kommen.
Die Produktivität
muss den LohnarbeiterInnen in Form von massiven Arbeitszeitverkürzungen
zugute kommen.
* Es geht nicht mehr so weiter, dass
Menschen Nebensache sind und die Renditen von Einzelunternehmen die Hauptsache.
Besitzstände müssen angegriffen werden, vor allem die
Besitzstände derer, die lieber Milliarden auf den Finanzmärkten
verspekulieren, als dazu beizutragen, dass es überall Ganztagsschulen gibt,
dass Kindergärten gebührenfrei sind, dass es genügend billigen
Wohnraum gibt.
* Diejenigen, die alle
Reichtümer erzeugen, sollen auch ordentlich leben können. Wir brauchen
Mindestlöhne oberhalb der Sozialhilfe, keine Billiglöhne, von
denen man seine Miete nicht mehr zahlen kann. Wir brauchen das nicht in erster
Linie aus volkswirtschaftlichen Gründen, nicht wegen der Kaufkraft, damit
Waren gekauft werden können, sondern um der Tendenz entgegenzutreten, dass
das Kapital die Löhne immer weiter unter das Existenzminimum
senkt.
Wenn man nicht mehr ertragen kann, dass die LohnarbeiterInnen
und insbesondere die Arbeitslosen zum Sündenbock für alle Probleme
gemacht werden, dann muss man sich damit beschäftigen, wie dieses
Wirtschaftssystem, wie die Kapitalverwertung die Probleme erzeugt, die sie ihren
Opfern anlastet. Nur dann kann man sich letztlich offensiv
verteidigen.
Die Masse der LohnarbeiterInnen will
nicht einsehen, dass ihr Interesse darin besteht, sich selbst die Löhne und
Leistungen zu kürzen, die Arbeitszeit zu verlängern und sich das Leben
immer schwerer zu machen. Sie will nicht einsehen, immer mehr zu arbeiten, um
immer weniger dafür zu bekommen und dennoch in wachsender
Existenzunsicherheit zu leben. Sie will nicht einsehen, dass es in Ordnung ist,
wenn angebliche Leistungsträger und die Schickeria an einem Wochenende
verjubeln, wofür sie ein Jahr arbeiten müssen und auch noch Opfer von
den Malochern verlangen. Sie will nicht einsehen, dass Menschen Nebensache und
die Kapitalvermehrung Hauptsache ist.
Die LohnarbeiterInnen wollen
letztlich eine Gesellschaft, in deren die Interessen der Mehrheit im Mittelpunkt
stehen und nicht die einer Minderheit.
Posted: Sa
- Oktober 18, 2003 at 08:05 nachm.
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