junge Welt vom 18.10.2004 -
Interview
»Überführung in Gemeineigentum durchaus
möglich«Opel-Bochum kassierte fast eine Milliarde Euro
aus Steuermitteln. Bundeswirtschaftsminister Clement (SPD) sollte sich jetzt
besser nicht im Werk sehen lassen. Ein Gespräch mit Günter
Gleising* Günter Gleising wurde bei der Kommunalwahl in
Nordrhein-Westfalen für die »Soziale Liste« in den Stadtrat von
Bochum gewählt.
F: Wenn bei Opel 4 000 Arbeitsplätze
wegfallen, wird es einige zehntausend weitere Entlassungen bei Zulieferfirmen
geben. Wird Bochum das Armenhaus des Reviers?
Das Opel-Werk hat eine
immense Bedeutung, es ist die Lebensader der Stadt. Wenn diese
Arbeitsplätze gestrichen werden, ist das für uns alle eine
Katastrophe. Die Pläne des Mutterkonzerns General Motors gehen allerdings
weiter – der Standort Bochum wird insgesamt in Frage gestellt. Der Konzern
will bis 2009 das Opel-Werk ganz schließen.
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F: Bochum hat bis in die 60er Jahre vom Bergbau und der Stahlindustrie
gelebt. Nach Schließung der Zechen wurde Opel angesiedelt, viele ehemalige
Bergleute fanden dort Arbeit. Zeigt sich jetzt eine Alternative?
Der
Steuerzahler hat nach heutiger Währung fast eine Milliarde Euro in das
Projekt Opel gesteckt. Noch heute zahlt die Stadt Bochum z.B. die Versicherung
vor Bergschäden. Jetzt müssen wir alle kämpfen, und zwar für
die Beschäftigten und für die Stadt selbst. Diese Pläne
dürfen einfach nicht durchgesetzt werden, eine Alternative ist nicht in
Sicht.
Allerdings: Sowohl das Grundgesetz als auch die
Landesverfassung sagen, daß die Überführung solcher Betriebe in
Gemeineigentum möglich ist. Dieser Gesichtspunkt sollte stärker in die
Auseinandersetzung eingeführt werden.
F: Es kommt noch schlimmer
– ab 1. Januar tritt Hartz IV in Kraft. Einige tausend Langzeitarbeitslose
werden dann nur noch 345 Euro Monatseinkommen haben, viele werden ihre Miete
nicht mehr zahlen können.
Genau das ist der Punkt. Es wird kaum
noch Kaufkraft vorhanden sein, d.h., auch der Einzelhandel wird Leute entlassen
müssen. Fehler des Opel-Managements und die in Detroit formulierte
Konzernstrategie sind eine Sache – eine ganz andere ist die Politik der
Bundesregierung, die den Binnenmarkt in den letzten Jahren entscheidend
geschwächt hat. Vor dieser Entwicklung haben nicht nur Gewerkschaften seit
Jahren gewarnt. Die Opel-Arbeiter und die Montagsdemonstranten bekämpfen im
Grunde genommen denselben Gegner.
F: Stichwort Gewerkschaften: Die IG
Metall hat sich bei den Protesten nicht besonders hervorgetan. Es wird
berichtet, es seien vor den Werkstoren mehr Fahnen von ver.di als von der IG
Metall zu sehen gewesen.
Das ist richtig. Der Protest weitet sich
aber aus: Am Dienstag gibt es einen europaweiten Aktionstag, den wir
natürlich in Bochum besonders intensiv vorbereiten. Die Opel-Arbeiter
werden in die Stadt ziehen, und Vereine, Parteien, Kirchen und viele
Einzelpersonen kommen zu einer Protestdemonstration zusammen.
F: Wie
kann man die IG Metall dazu bringen, offensiver zu
sein?
Zunächst einmal schafft die Belegschaft Fakten, sie
streikt und läßt sich auch nicht von Bundeswirtschaftsminister
Wolfgang Clement oder NRW-Ministerpräsident Peer Steinbrück zur
Wiederaufnahme der Arbeit nötigen. Clement sollte sich besser nicht im
Opel-Werk sehen lassen. Auch in anderen Metallbetrieben wächst die
Erkenntnis, daß Kampf nötig ist – dem muß auch die IG
Metall Rechnung tragen.
F: Welche Rolle spielt die »Soziale
Liste«, die seit der Kommunalwahl am 26. September mit zwei Mandaten im
Stadtrat vertreten ist?
Am Freitag z.B. habe ich als erstes
Ratsmitglied vor den Beschäftigten im Werk Bochum-Langendreer gesprochen.
Wir sind auch dabei, die Ratssitzung am Donnerstag so mitzugestalten, daß
das Thema Opel eine dominierende Rolle spielt. Es gibt ferner die
Überlegung, ein Bürgerkomitee zu gründen, in dem
Familienangehörige, Jugendliche, kirchliche Gruppen und andere
zusammenkommen. Wir müssen versuchen, alle Kräfte im Kampf um die
Arbeitsplätze zu bündeln.
F: Besteht die Aussicht, daß
sich die Bewegung der Montagsdemonstrationen mit dem Protest der Opel-Arbeiter
vereint?
Bei der ersten Montagsdemonstration in Bochum hat als erster
Redner überhaupt ein Vertrauensmann von Opel gesprochen. Opel hat immer
eine Rolle gespielt. Unsere heutige Montagsdemonstration geht zum Tor I, da
fallen die Entscheidungen, da spielt die Musik. Die Werkstore müssen auf
jeden Fall besetzt bleiben.
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