Unabhängige Kommission legt Bericht zum Umgang mit kranken
Flüchtlingen vor / Menschenrechtsverletzungen in KlinikenKnapp
eineinhalb Jahre nach der Abschiebung der Tunesierin Suneya Ayari aus dem
Frankfurter Markus-Krankenhaus hat eine vom Diakonischen Werk eingesetzte
Untersuchungskommission ihren Bericht vorgelegt. Als Konsequenz aus dem Vorfall
empfiehlt die Diakonie zivilen Ungehorsam.VON MATTHIAS
THIEMEFrankfurt
· 8. Juni · Die "Abschiebung aus dem Krankenbett" im Februar 2004 sei
leider kein Einzelfall, sagte Wolfgang Gern, Vorstandsvorsitzender des
Diakonischen Werks Hessen und Nassau bei der Präsentation des Berichts.
"Wir waren schockiert, dass das in einem unserer Krankenhäuser passiert
ist, schockiert über das Vorgehen des Bundesgrenzschutz", so Gern. In einer
Umgebung, in der der schwerkranken Tunesierin Hilfe zuteil werden sollte, sei
"die Würde der Patientin verletzt worden".
Der komplette Bericht
ist im Internet zu finden unter:
www.diakonie-hessen-nassau.de/DWHN/publikat/frametext1.html
Wie solche Menschenrechtsverletzungen bei Abschiebungen von kranken
Flüchtlingen vermieden werden können, versucht die Kommission in ihrem
ausführlichen Bericht darzulegen. Das Gremium hatte sich gebildet, nachdem
die
Frankfurter Rundschau über den skandalösen Abschiebefall
berichtet hatte und eine Debatte über die Rolle von Ärzten bei der
Begutachtung von kranken Flüchtlingen in Gang gekommen war. Unter dem
Vorsitz des ehemaligen hessischen Innenministers Gerhard Bökel berieten die
Juristen, Mediziner, Behördenvertreter und Kirchenleute über
Handlungsleitlinien über den Umgang mit traumatisierten
Flüchtlingen.
Es gehe darum, "skandalöse Abtransporte von
Schwerkranken aus Kliniken zu verhindern", sagte der Menschenrechtsbeauftragte
der Landesärztekammer Hessen, Ernst Girth. Posttraumatische
Belastungsstörungen und andere schwere psychische Krankheiten bei
Flüchtlingen müssten ernst genommen und nicht als Trick zur
Verhinderung der Abschiebung interpretiert werden. Bei der Beurteilung der
"Reisetauglichkeit" müssten Ärzte nach den Richtlinien der
Ärztekammer vorgehen und auch die Versorgungsmöglichkeit im Heimatland
bedenken. Die Kommission fordert einen Pool qualifizierter Gutachter, die sich
an solche Standards halten. Die Menschenrechtsverletzungen resultierten nicht
aus der Gesetzeslage, sagte der ehemalige hessische Innenminister Gerhard
Bökel. Das Problem liege in der Anwendung der Gesetze.
Ausländerbehörden und Gerichte "arbeiten voller Misstrauen und
unterstellen, dass Patienten simulieren", so Bökel. "Wo staatliche Stellen
ihrer Verpflichtung zum Schutz der Menschenwürde nicht nachkommen, ist
ziviler Ungehorsam legitim." Ärzte sollten in solchen Fällen von ihren
Arbeitgebern geschützt werden.
Beim Diakonischen Werk werde
ziviler Ungehorsam in solchen Fällen "nicht sanktioniert", sagte
Jürgen Gohde, Präsident des Diakonischen Werks der Evangelischen
Kirche in Deutschland. Das Diakonische Werk werde den Bericht jetzt in allen
Bundesländern den zuständigen Ministerien und Behörden vorlegen,
so Gohde. In Hessen sei dies der Integrationsbeirat und die
Härtefallkommission des Landes, auf Bundesebene wolle man bei der Konferenz
der Innenminister vorstellig
werden.
Frankfurter
Rundschau online -
Erscheinungsdatum 09.06.2005