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Querbeet :: aktuell

Jede Menge Bewegung in Nürnberg

ND vom 08.11.04
Demonstration gegen Sozialraub, Agenda 2010 und Hartz IV zur Bundesagentur für Arbeit 
Unter der Losung »Gemeinsam gegen Sozialraub, Agenda 2010 und Hartz IV!« demonstrierten am Sonnabend knapp 10000 Menschen durch Nürnberg zur Bundesagentur für Arbeit.
Als Ziel einer Großdemonstration war die Bundesagentur umstritten; viele fürchteten, die Mitarbeiter könnten sich angegriffen fühlen. So waren Parteien wie PDS und die in Gründung befindliche Wahlalternative Arbeit und soziale Gerechtigkeit sowie schon etablierte Organisationen wie Attac in Nürnberg eher schwach vertreten; von Kirchen und Gewerkschaften gar nicht erst zu reden. Dennoch kamen aus dem gesamten Bundesgebiet nach Schätzung der Veranstalter knapp 10000, nach Polizeiangaben 7000 Demonstranten zusammen. Wobei die Transparente meist auf eines der Sozialforen verwiesen.
Was da an Widerstand wächst, erscheint der Politik als bedrohlich. Die bayrische Polizeiführung hatte am Sonnabend offenbar den gesamten Freistaat in Alarmzustand versetzt. Ein Bus aus München wurde zwei Mal aus dem Verkehr gezogen, noch in München und nach Verlassen der Autobahn in Nürnberg. Die 50 Insassen wurden Leibesvisitationen unterzogen, was einer großen Zahl von Auswärtigen widerfuhr.
Allein auf dem etwa 600 Meter langen Weg vom Hauptbahnhof zum Ort der Auftaktkundgebung gab es drei Kontrollstellen. Wer Pech hatte, wurde drei Mal angehalten und durchsucht. Viele Fahnenstangen wurden konfisziert – wegen unzulässiger Dicke. Den ganzen Tag über waren Polizeikräfte in voller Kampfmontur stark präsent. Diese bayrische Spezial-Begleitung einer Großdemonstration war nicht nur für die Angereisten, sondern auch für die Nürnberger Bevölkerung gewöhnungsbedürftig.

 

Eine Besonderheit der Demonstration war der »antikapitalistische Block«, den unterschiedliche autonome Gruppen an der Spitze des Zuges bildeten und der wohl Hauptgrund für das massive Polizeiaufgebot war. Während in Schwarz gekleidete Autonome mit ihren Transparenten sich eng zu einer »Schildkröte« zusammendrängten, liefen auf Tuchfühlung links und rechts neben ihnen Polizisten jeweils in Zweierreihen, grün uniformierte innen, Dunkelblaue außen. Man könnte von einer »Lasagne-Demo« sprechen.
Trotz immer wiederkehrender Rempeleien der Polizei blieben die Autonomen ruhig, kam es nicht zu den erwarteten Ausschreitungen. Allerdings machte die permanente Hochspannung an der Zugspitze aus dem Marsch ein zähflüssiges »Stop and Go«. Kurz vor Erreichen der Bundesagentur gab es dann das Kommando »Helm auf«. Lange sah es so aus, als ob der Demonstrationszug nicht bis zur BA vorgelassen werden sollte. Schon im Vorfeld war es den Veranstaltern nicht erlaubt worden, die Schlusskundgebung auf dem Vorplatz des hochgetürmten Gebäudekomplexes abzuhalten, um den weiträumig Absperrgitter standen. Schließlich durfte der Zug nach heftigen Diskussionen bei einbrechender Dunkelheit bis auf die der BA gegenüberliegende Straßenseite ziehen.
Auch politisch hat die vom Sozialforum Nürnberg veranstaltete Demonstration ihr Ziel erreicht. Sie »war bunt zusammengesetzt, aber inhaltlich klar ausgerichtet«, konstatierten die Initiatoren. Erfreulich sei die Beteiligung zahlreicher Migranten und Flüchtlinge, die besonders von prekären ausbeuterischen Arbeitsbedingungen und Sozialraub betroffen sind. »Heute demonstrierten Erwerbslose und Beschäftigte gemeinsam gegen die Agenda 2010. Angesichts des sonst eher bezugslosen Nebeneinanders von (gewerkschaftlicher) Arbeiterbewegung und sozialer Bewegung z.B. der Arbeitslosen haben wir hier einen wichtigen Durchbruch zu einer gemeinsamen Gegenwehr aller Betroffenen geschaffen«, heißt es in einer Presseerklärung.
Auch das basisorientierte Konzept der Veranstalter ging weitgehend auf: Prominente wurden auf der Bühne kaum vermisst. Den größten Erfolg bei den Zuhörern erzielte Kurt Haymann vom Attac-Koordinierungsrat mit dem Aufruf, vom »Diskurs der Knappheit« zum »Diskurs der Fülle« überzugehen. Seine Forderungen nach einem Grundeinkommen frei von Vorbedingungen, garantierten Mindestlöhnen und weltweit einheitlichen Arbeitsrechts- und -schutzregeln waren in Nürnberg mehrheitsfähig. Und Zustimmung zu der von der »Karawane für die Rechte der Flüchtlinge und MigrantInnen« erhobenen Forderung nach völliger Freizügigkeit für alle Menschen zeigte, dass die Sozialforums-Bewegung internationales Bewusstsein nicht nur im Mund führt, sondern tatsächlich verinnerlicht hat.
»Eine andere Welt ist möglich und nötig«, lautet das Motto der Sozialforen. Möglicherweise ist man dieser Vision am Sonnabend in Nürnberg wieder ein winziges Stück näher gekommen.

(ND 08.11.04)

Posted: Mo - November 8, 2004 at 09:34 vorm.  
   
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