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Afghanistan - Menschenrechtler sprechen von Wettbewerb um gnadenloseste
Abschiebungspraxis
www.ngo-online.de 07.06.2005 (ngo)
Die Menschenrechtsorganisation Pro
Asyl
wirft den Bundesländern vor, um die "gnadenloseste
Abschiebungspraxis" zu wetteifern. Nachdem Hamburg mit Abschiebungen nach
Afghanistan begonnen habe, nehme das Hessische Innenministerium in einem Erlass
vom 17. Mai bereits die Abschiebung von alleinstehenden Frauen in den Blick,
kritisierte Pro Asyl. Diese hätten aber in der afghanischen Gesellschaft
kaum Rechte. So könnten sie leicht wegen "Unzucht" Probleme mit dem Gesetz
bekommen. Dieser Strafbestand sei beispielsweise erfüllt, wenn eine Frau
auf der Straße mit einem Mann spricht, der nicht der Ehemann ist.
Rentnerabschiebung
Eine andere Prozedur habe sich zwar
später als Redaktionsversehen im hessischen Innenministerium erwiesen,
zeige aber die Mentalität, mit der dort gedacht werde, so Pro Asyl. So habe
es Pläne gegeben, Menschen nicht mehr nach Afghanistan abzuschieben, die
älter als 71 Jahre sind. Diese "Rentnerabschiebungsregelung" von Menschen
bis zum 71. Lebensjahr zeige ein Denken, mit dem "zwischen Gedankenlosigkeit und
Vorsatz die Existenzvernichtung von Menschen" geplant werde. Der
Planungshorizont sei damit die brutalstmögliche Variante, schrieb die
Menschenrechtsorganisation. Was die Rentner angehe, plane Hessen nur über
65 Jährige vor der Abschiebung zu schützen, wenn sie keinen Anspruch
auf Sozialhilfe hätten.
Pro Asyl: Nicht einmal
rudimentäre Strukturen der Existenzsicherung
Die Abschiebung
alter Menschen, die keine Familie in Afghanistan haben, "in ein Land, in dem
nicht einmal rudimentäre Strukturen der Existenzsicherung vorhanden sind",
könne im Ernstfall eine Art Todesurteil darstellen, so Pro Asyl.
Entsprechende Planungen stünden in eklatantem Widerspruch zu Berichten von
Menschenrechtsorganisationen und dem Lagebericht des Auswärtigen Amtes.
Dieser spreche von einer Lebenserwartung der afghanischen Bevölkerung von
etwa 45 Jahren.
Rechtsanwalt Victor Pfaff: "Undenkbar, dass eine
alleinstehende Frau Wohnraum mietet"
Die Idee, über kurz
oder lang alleinstehende Frauen nach Afghanistan abschieben zu wollen,
beurteilte der Frankfurter Rechtsanwalt Victor Pfaff kritisch. Er ist Mitglied
von Pro Asyl und hat sich vor einigen Wochen in Afghanistan auch über die
Lage der Frauen informiert: "Hat eine Frau keinen familiären Rückhalt
oder ist sie von ihrer Familie fallen gelassen worden, dann ist sie Freiwild -
trotz ihrer formalen Gleichstellung durch die Verfassung. Es ist undenkbar, dass
sich eine alleinstehende Frau - mit oder ohne Kinder - Wohnraum mietet, auch
wenn sie Geld hätte." Eine Witwe zum Beispiel könne nicht alleine
leben. Wer sich nicht in die patriarchalische Gesellschaft Afghanistans
einordnen wolle oder könne, laufe Gefahr, Gewalttätigkeit und
Willkür ausgesetzt zu sein. Diese Gefahr drohe nicht nur von einzelnen
Fanatikern, sondern auch von Seiten des Staates. Von 16 Frauen, die sich im
April in der Kabuler Übergangshaftanstalt befunden hätten, seien
allein 14 der Unzucht beschuldigt.
Umgehung der internationalen
Standards
Pro Asyl verwies auf Verhandlungen zwischen einer
afghanischen Regierungsdelegation und dem Bundesinnenministerium im Februar 2005
in Kabul. Die Menschenrechtsorganisation sprach in diesem Zusammenhang von einem
"Versuch einer Durchsetzung deutscher Interessen im Kolonialstil". So habe das
Bundesinnenministerium gegegenüber den Länderministerien verlautbart:
"Die afghanische Delegation erklärte weiterhin, dass sie einseitig von
Deutschland vorgenommene Rückführungsmaßnahmen hinnehmen werde."
Warum es nicht zum Abschluss eines formellen Rückübernahmeabkommens
gekommen ist, stehe zwar nicht im Erlass, sei aber bekannt. Die deutsche Seite
habe anders als andere Staaten kein Dreiparteienabkommen unter Beteiligung des
Hohen Flüchtlingskommissariats der Vereinten Nationen (UNHCR) gewollt. In
einem solchen Abkommen hätten auch die internationalen Kriterien eine Rolle
spielen müssen. Nach denen hätten sich die Innenministerien dann mit
"Freiwilligkeit" und einer "Rückkehr in Würde" auseinandersetzen
müssen. Deutsche Abschiebungspolitik aber bedeute, "solche
Maßstäbe und die sie vertretenden Institutionen möglichst zu
umgehen", so die Menschenrechtler.
Massenelend und hunderttausend
Gestrandete
Pro Asyl unterstrich die Auffassung, dass
Abschiebungen nach Afghanistan vor dem Hintergrund der aktuellen Sicherheitslage
und des Massenelendes unverantwortlich seien. Bereits hunderttausende Afghanen
seien am Rand der afghanischen Städte gestrandet. Afghanistan sei nach 23
Jahren Krieg mit fast unlösbaren Problemen konfrontiert. Pro Asyl betonte:
"Afghanistan braucht weiter deutsche Unterstützung." Dazu gehöre es
auch, dass man das Land nicht auch noch mit einem weiteren Probleme belaste:
"der unmöglichen Versorgung von Landsleuten, die deutsche Innenminister
systematisch aus Deutschland vertreiben wollen."
Posted: Do - Juni 9, 2005 at 10:51 vorm.
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