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Polizeieinsatz gegen Streikposten - 1-Euro-Jobber mit Drohung zum Streikbruch gepresst

linkszeitung - 16.02.2006

Osnabrück: Hartz-IV-Empfänger als Streikbrecher

In Osnabrück gehen Polizisten gewaltsam gegen Streikposten vor, um 1-Euro-Jobber mit dem Müllwagen durchzulassen. Die Hartz-IV-Empfänger wurden zum Streikbruch gezwungen. Ihnen drohte die Stadtverwaltung mit einer Meldung bei der Arbeitsagentur, falls sie die Streikenden nicht ersetzen.
Foto: Verdi

 

linkszeitung
Von Richard Grove und Werner Jourdan

Osnabrück (LiZ) - Gegen den Streik im öffentlichen Dienst werden jetzt die ersten 1-Euro-Jobber als Streikbrecher eingesetzt. Im niedersächsischen Osnabrück müssen Hartz-IV-Empfänger auf Druck des öffentlichen Arbeitgebers reguläre Arbeitskräfte bei der Straßenreinigung ersetzen. Zu Wochenbeginn musste dies mit einem massiven Polizeieinsatz gegen die Streikenden durchgesetzt werden.

Polizisten machten den gepressten Streikbrechern den Weg zum Osnabrücker Abfallwirtschaftsbetrieb frei, indem sie rigoros gegen die Verdi-Streikposten vorgingen, die das Werkstor mit Fahrzeugen und einer Menschenkette blockierten. Dabei drängten die Beamten die Gewerkschafter recht unsanft zur Seite, verdrehten ihnen Gelenke und in mindestens einem Fall auch im wörtlichen Sinn den Kopf. Die Megafone der Streikenden wurden beschlagnahmt. Dem Osnabrücker ver.di-Bezirksgeschäftsführer Jürgen Humer drohte ein Polizist mit "Inhaftierung", wenn er seine Streikaktionen fortsetze. Auf einer Protestkundgebung erinnerten Gewerkschafter später in Redebeiträgen daran, dass ein derartiger Polizeieinsatz gegen organisierte Arbeiter in Osnabrück zuletzt anläßlich der Machtergreifung der Nazis stattfand.

Die offenkundige Zuspitzung im "Klassenkampf von oben" bewertet Wilhelm Koppelmann von der örtlichen Verdi-Streikleitung als Teil eines Generalangriffs auf die organisierte Arbeiternehmerschaft. "Dies ist ein weiterer Versuch die Gewerkschaften in Deutschland klein zu kriegen", so Koppelmann, der auch Vertrauensleutesprecher bei der Osnabrücker Stadtverwaltung und Mitglied der Bundes- und Landestarifkommission des öffentlichen Dienstes ist. Ihn erinnere das alles an Äußerungen Schäubles in den 1980ern, wonach sich die sozialen Widerspüche in Deutschland so zuspitzen würden, dass im Inneren die Bundeswehr eingesetzt werden müsse.

Demenstprechend kämpferisch - aber ernüchtert - war die Stimmung im Streiklokal "Lagerhalle". Verdi-Mitglieder fragten sich, vor dem Hintergrund der CDU-Bestrebungen die Bundeswehr auch im Inland einzusetzen, ob demnächst bewaffnete Kampfeinheiten der Bundeswehr gegen Streikposten im Marsch gesetzt würden. Wo denn die Reaktion der Linkspartei und der WASG auf die Ereignisse in Osnabrück bleibe, erregte sich ein aufgebrachter Streikposten. Die niederländische Transportarbeitergewerkschaft fragte unterdessen in einer Grußbotschaft an Verdi-Osnabrück-Emsland an, ob der Polizeieinsatz denn das neue bundesdeutsche Streikrecht veranschaulichen solle.

Wilhelm Koppelmann weiß, dass sich bei der Osnabrücker Stadtreinigung immer mehr nicht-streikende Kollegen krank melden. Den als Streikbrechern eingesetzten 1-Euro-Jobber drohten Vorgesetzte, sie "beim Arbeitsamt zu melden, wenn nicht ordentlich gearbeitet werde". Viele 1-Euro-Jobber hätten gegenüber Verdi-Stadtreinigern geäußert, sie würden lieber mitstreiken, wenn "etwas Vernünftiges dabei für sie herauskäme". Koppelmann bewertet den Einsatz der 1-Euro-Jobber in dem städtischen Betrieb als unverantwortlich. Die unerfahrenen Arbeitskräfte müssten bei der Schüttung des Mülls in die Sammelstellen auch per Hand zufassen. "Das ist wahnsinnig gefährlich. Sie könnten sich lebensgefährliche Verletzungen zufügen." Der Streik bei der Osnabrücker Stadtreinigung konzentriert sich besonders auf die Werkstatt des Fuhrparks. Selbst wenn der öffentliche Arbeitgeber noch mehr Streikbrecher einsetzen würde, verringert sich die Anzahl der einsatzbereiten Müllfahrzeuge Tag um Tag.

Zur Wochenmitte erhöhte sich die Anzahl der Streikenden in Osnabrück auf 500 Teilnehmer. Betroffen sind, neben der Müllabfuhr, die Straßenreinigung, Krankenhäuser, Kitas, Hausmeister und Reinigungskäfte sowie weitere Bereiche des öffentlichen Dienstes. Nach dem Polizeieinsatz sind 1800 Beschäftigte des öffentlichen Dienstes in Osnabrück dem Aufruf des Verdi-Bezirks gefolgt und auf die Straße gegangen.

Am Donnerstag demonstrierten hunderte Verdi-Streikposten vor dem Osnabrücker Bekleidungshaus "L und T". Dieter Rauschen, der Chef von "Lengermann und Trietschke" hatte als Vorsitzender eines Marketing-Zusammenschlusses von Osnabrücker Unternehmen Warengutscheine an Streikbrecher der Müllabfuhr verschenkt, weil "diese Mitarbeiter das Allgemeinwohl über ihr Eigeninteresse stellen". Dazu Wilhelm Koppelmann von der Streikleitung, "das verstößt klar gegen die Antikorruptions-Vereinbarung für städtische Mitarbeiter".
 
Osnabrücks oberster Personalschef des öffentlichen Dienstes, Stadtkämmerer und Stadtrat Karl Joseph Leyendecker will Verdi auf Schadenersatz verklagen. Allen städtischen Mitarbeitern, die sich am Streik beteiligen, droht der CDU-Mann mit arbeitsrechtlichen Konsequenzen. Obwohl sich der SPD-Oberbürgermeister Heinrich Fip öffentlich gegen die Streikenden stellte, sorgt der Polizeieinsatz gegen Verdi-Gewerkschafter an der Osnabrücker SPD-Basis für heftigen Unmut. Auch Alice Graschtat, SPD-Landtags- und Rathausabgeordnete äußerte Verständnis für die Streikenden. Im September sind in Osnabrück Kommunalwahlen. Dann tritt ein Bündnis aus Linkspartei, DKP und WASG als linke Konkurrenz zur SPD an.

Im Dienstleistungsstreik will Verdi in Osnabrück den Druck deutlich erhöhen. Verdi-Bezirksgeschäftführer Jürgen Humer kündigte an: "Wir werden weiter richtig Dampf machen. Wir sind noch steigerungsfähig". Gegen die Osnabrücker Unternehmen, die Streikbrecher mit Geschenken belohnen, riefen einzelne Gewerkschafter öffentlich zum Konsumstreik auf.

Der Leiter des städtischen Abfallwirtschaftsbetriebs, Donnermeyer, rechtfertigte den Einsatz der Hartz-IV-Empfänger während des Streiks damit, dass die nichtorganisierten Mitarbeiter ohnehin arbeiten würden. So laufe die Müllabfuhr weiter "reibungslos" und bei der Straßenreinigung werde trotz des Streiks 70 Prozent der Arbeit erledigt.

Bei der Osnabrücker Abfallwirtschaft sind nach Angaben Donnermeyers ständig 15 bis 20 zuvor Arbeitslose als Ein-Euro-Jobber beschäftigt. Bei der Müllabfuhr werde keiner eingesetzt - "höchstens, dass wir mal testen, ob Leute für den ersten Arbeitsmarkt geeignet sind", sagte Donnermeyer gegenüber der Linkszeitung. Angaben dazu, wie viele Ein-Euro-Jobber bisher in ein festes Arbeitsverhältnis übernommen wurden, ob sich die Zahl der regulären Jobs durch die "Arbeitsgelegenheiten" verringert hat oder inwiefern es sich bei der Tätigkeit der Hartz-IV-Empfänger um "zusätzliche" Arbeit handelt, wie im Gesetz vorgesehen, wollte der Betriebsleiter nicht machen.
Quelle: http://linkszeitung.de/content/view/8789/61/

Posted: Sa - Februar 18, 2006 at 01:25 vorm.  
   
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