linkszeitung
Von Richard Grove und Werner
JourdanOsnabrück (LiZ) - Gegen den Streik im
öffentlichen Dienst werden jetzt die ersten 1-Euro-Jobber als Streikbrecher
eingesetzt. Im niedersächsischen Osnabrück müssen
Hartz-IV-Empfänger auf Druck des öffentlichen Arbeitgebers
reguläre Arbeitskräfte bei der Straßenreinigung ersetzen. Zu
Wochenbeginn musste dies mit einem massiven Polizeieinsatz gegen die Streikenden
durchgesetzt werden.
Polizisten machten den gepressten Streikbrechern
den Weg zum Osnabrücker Abfallwirtschaftsbetrieb frei, indem sie rigoros
gegen die Verdi-Streikposten vorgingen, die das Werkstor mit Fahrzeugen und
einer Menschenkette blockierten. Dabei drängten die Beamten die
Gewerkschafter recht unsanft zur Seite, verdrehten ihnen Gelenke und in
mindestens einem Fall auch im wörtlichen Sinn den Kopf. Die Megafone der
Streikenden wurden beschlagnahmt. Dem Osnabrücker
ver.di-Bezirksgeschäftsführer Jürgen Humer drohte ein Polizist
mit "Inhaftierung", wenn er seine Streikaktionen fortsetze. Auf einer
Protestkundgebung erinnerten Gewerkschafter später in Redebeiträgen
daran, dass ein derartiger Polizeieinsatz gegen organisierte Arbeiter in
Osnabrück zuletzt anläßlich der Machtergreifung der Nazis
stattfand.
Die offenkundige Zuspitzung im "Klassenkampf von oben"
bewertet Wilhelm Koppelmann von der örtlichen Verdi-Streikleitung als Teil
eines Generalangriffs auf die organisierte Arbeiternehmerschaft. "Dies ist ein
weiterer Versuch die Gewerkschaften in Deutschland klein zu kriegen", so
Koppelmann, der auch Vertrauensleutesprecher bei der Osnabrücker
Stadtverwaltung und Mitglied der Bundes- und Landestarifkommission des
öffentlichen Dienstes ist. Ihn erinnere das alles an Äußerungen
Schäubles in den 1980ern, wonach sich die sozialen Widerspüche in
Deutschland so zuspitzen würden, dass im Inneren die Bundeswehr eingesetzt
werden müsse.
Demenstprechend kämpferisch - aber
ernüchtert - war die Stimmung im Streiklokal "Lagerhalle". Verdi-Mitglieder
fragten sich, vor dem Hintergrund der CDU-Bestrebungen die Bundeswehr auch im
Inland einzusetzen, ob demnächst bewaffnete Kampfeinheiten der Bundeswehr
gegen Streikposten im Marsch gesetzt würden. Wo denn die Reaktion der
Linkspartei und der WASG auf die Ereignisse in Osnabrück bleibe, erregte
sich ein aufgebrachter Streikposten. Die niederländische
Transportarbeitergewerkschaft fragte unterdessen in einer Grußbotschaft an
Verdi-Osnabrück-Emsland an, ob der Polizeieinsatz denn das neue
bundesdeutsche Streikrecht veranschaulichen solle.
Wilhelm Koppelmann
weiß, dass sich bei der Osnabrücker Stadtreinigung immer mehr
nicht-streikende Kollegen krank melden. Den als Streikbrechern eingesetzten
1-Euro-Jobber drohten Vorgesetzte, sie "beim Arbeitsamt zu melden, wenn nicht
ordentlich gearbeitet werde". Viele 1-Euro-Jobber hätten gegenüber
Verdi-Stadtreinigern geäußert, sie würden lieber mitstreiken,
wenn "etwas Vernünftiges dabei für sie herauskäme". Koppelmann
bewertet den Einsatz der 1-Euro-Jobber in dem städtischen Betrieb als
unverantwortlich. Die unerfahrenen Arbeitskräfte müssten bei der
Schüttung des Mülls in die Sammelstellen auch per Hand zufassen. "Das
ist wahnsinnig gefährlich. Sie könnten sich lebensgefährliche
Verletzungen zufügen." Der Streik bei der Osnabrücker Stadtreinigung
konzentriert sich besonders auf die Werkstatt des Fuhrparks. Selbst wenn der
öffentliche Arbeitgeber noch mehr Streikbrecher einsetzen würde,
verringert sich die Anzahl der einsatzbereiten Müllfahrzeuge Tag um
Tag.
Zur Wochenmitte erhöhte sich die Anzahl der Streikenden in
Osnabrück auf 500 Teilnehmer. Betroffen sind, neben der Müllabfuhr,
die Straßenreinigung, Krankenhäuser, Kitas, Hausmeister und
Reinigungskäfte sowie weitere Bereiche des öffentlichen Dienstes. Nach
dem Polizeieinsatz sind 1800 Beschäftigte des öffentlichen Dienstes in
Osnabrück dem Aufruf des Verdi-Bezirks gefolgt und auf die Straße
gegangen.
Am Donnerstag demonstrierten hunderte Verdi-Streikposten
vor dem Osnabrücker Bekleidungshaus "L und T". Dieter Rauschen, der Chef
von "Lengermann und Trietschke" hatte als Vorsitzender eines
Marketing-Zusammenschlusses von Osnabrücker Unternehmen Warengutscheine an
Streikbrecher der Müllabfuhr verschenkt, weil "diese Mitarbeiter das
Allgemeinwohl über ihr Eigeninteresse stellen". Dazu Wilhelm Koppelmann von
der Streikleitung, "das verstößt klar gegen die
Antikorruptions-Vereinbarung für städtische
Mitarbeiter".
Osnabrücks oberster Personalschef des
öffentlichen Dienstes, Stadtkämmerer und Stadtrat Karl Joseph
Leyendecker will Verdi auf Schadenersatz verklagen. Allen städtischen
Mitarbeitern, die sich am Streik beteiligen, droht der CDU-Mann mit
arbeitsrechtlichen Konsequenzen. Obwohl sich der SPD-Oberbürgermeister
Heinrich Fip öffentlich gegen die Streikenden stellte, sorgt der
Polizeieinsatz gegen Verdi-Gewerkschafter an der Osnabrücker SPD-Basis
für heftigen Unmut. Auch Alice Graschtat, SPD-Landtags- und
Rathausabgeordnete äußerte Verständnis für die Streikenden.
Im September sind in Osnabrück Kommunalwahlen. Dann tritt ein Bündnis
aus Linkspartei, DKP und WASG als linke Konkurrenz zur SPD an.
Im
Dienstleistungsstreik will Verdi in Osnabrück den Druck deutlich
erhöhen. Verdi-Bezirksgeschäftführer Jürgen Humer
kündigte an: "Wir werden weiter richtig Dampf machen. Wir sind noch
steigerungsfähig". Gegen die Osnabrücker Unternehmen, die
Streikbrecher mit Geschenken belohnen, riefen einzelne Gewerkschafter
öffentlich zum Konsumstreik auf.
Der Leiter des städtischen
Abfallwirtschaftsbetriebs, Donnermeyer, rechtfertigte den Einsatz der
Hartz-IV-Empfänger während des Streiks damit, dass die
nichtorganisierten Mitarbeiter ohnehin arbeiten würden. So laufe die
Müllabfuhr weiter "reibungslos" und bei der Straßenreinigung werde
trotz des Streiks 70 Prozent der Arbeit erledigt.
Bei der
Osnabrücker Abfallwirtschaft sind nach Angaben Donnermeyers ständig 15
bis 20 zuvor Arbeitslose als Ein-Euro-Jobber beschäftigt. Bei der
Müllabfuhr werde keiner eingesetzt - "höchstens, dass wir mal testen,
ob Leute für den ersten Arbeitsmarkt geeignet sind", sagte Donnermeyer
gegenüber der Linkszeitung. Angaben dazu, wie viele Ein-Euro-Jobber bisher
in ein festes Arbeitsverhältnis übernommen wurden, ob sich die Zahl
der regulären Jobs durch die "Arbeitsgelegenheiten" verringert hat oder
inwiefern es sich bei der Tätigkeit der Hartz-IV-Empfänger um
"zusätzliche" Arbeit handelt, wie im Gesetz vorgesehen, wollte der
Betriebsleiter nicht machen.
Quelle:
http://linkszeitung.de/content/view/8789/61/