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Steht die Protestfront?
Aktionstag gegen Sozialabbau am 3. April: Ausrichtung und
Bündnispolitik im DGB umstritten Jenseits aller Debatten
läuft die Mobilisierung selbst offensichtlich äußerst positiv.
»Die Flugblätter gehen weg wie nichts…«
junge Welt vom 06.03.2004 Daniel Behruzi
»Aufstehen, damit es endlich besser wird!« Unter diesem Motto ruft
der Deutsche Gewerkschaftsbund für den 3. April zu Großdemonstrationen
in Berlin, Köln und Stuttgart auf. Die Proteste sind Teil eines
internationalen Aktionstags gegen Sozialabbau, der auf eine Initiative des
Europäischen Sozialforums im November letzten Jahres in Paris und einen
Aufruf des Europäischen Gewerkschaftsbundes zurückgeht. In letzterem
heißt es, man wolle »Millionen von Menschen« bei den Aktionen
einbeziehen. Ob und wie hierzulande die sozialen Bewegungen in die Protestfront
tatsächlich einbezogen werden, ist im Gewerkschaftslager indes
umstritten.
Zwar war es eine Vielzahl sozialer Bündnisse und
Initiativen, kritischer Gewerkschafter und linker Gruppen, die die Demonstration
der 100 000 am 1. November 2003 in Berlin angestoßen und damit die
Bereitschaft des DGB zu den nun geplanten Aktionen geweckt haben dürfte.
Trotzdem oder gerade deshalb seien Teile der Gewerkschaftsspitzen –
namentlich die stets die Nähe des Kanzlers suchende IG Bergbau, Chemie,
Energie (BCE) und der personell eng mit der SPD verstrickte
nordrhein-westfälische DGB – nicht wirklich zum gleichberechtigten
breiten Bündnis bereit, so die Kritik vieler Basisstrukturen.
Es
kursieren etliche offene Briefe und kritische Stellungnahmen, in denen die
Schwierigkeiten bei der praktischen Zusammenarbeit thematisiert, vor allem aber
Befürchtungen über die politische Ausrichtung der Demonstrationen
geäußert werden. So kritisieren die Globalisierungskritiker von ATTAC
in einem internen Rundschreiben »intransparente Entscheidungsprozesse,
ängstliche Kontrollversuche und einige problematische Beschlüsse«
seitens eines Teils der Gewerkschaftsapparate. Auch habe man »Zweifel, ob
die Verantwortung der rot-grünen Bundesregierung für eine durch und
durch falsche und nicht verbesserungsfähige Politik« deutlich genug
benannt werden wird.
Der Arbeitslosenverband sieht die Planungen auf
einem »sehr gefährlichen Kurs, der die Sozial- und
Erwerbslosenbewegung in Deutschland spalten könnte«. Er kritisiert die
bislang bekannten Kundgebungskonzepte und fordert, daß »vor allem
Erwerbslose und Betroffene – gerade aus dem Osten Deutschlands«
– Gehör finden müßten. Ganz ähnlich heißt es in
einem offenen Brief von Gruppen, die an der Organisation des 1. November
beteiligt waren: »Leider sind bisher zu wenig Bemühungen erkennbar,
das breite Bündnis »von unten«, das dem 1. November seine
Vielfalt und letztlich seine Anziehungskraft verlieh, angemessen und
gleichberechtigt zu beteiligen.«
Bei der Vorbereitung der
Berliner Demonstration habe sich der DGB in vielen praktischen Fragen inzwischen
auf die sozialen Initiativen zubewegt, betont Michael Prütz vom Berliner
Bündnis gegen Sozial- und Bildungsraub auf jW-Nachfrage. Das gelte sowohl
für den zuvor sehr eng gefaßten Zeitrahmen als auch für die
Rednerkonzepte. Bei der Abschlußkundgebung sollen neben DGB-Chef Michael
Sommer und Bernhard Thibauldt von der französischen Gewerkschaft CGT auch
Kirchenvertreter, Globalisierungskritiker, Studenten und – dies ist noch
unklar – Erwerbslose zu Wort kommen. Auf einer Aktionskonferenz am
heutigen Samstag in Berlin (11 Uhr DGB-Haus, Keithstr.1-3) wollen die sozialen
Bündnisse über den Stand der Dinge beraten.
Die
Schwierigkeiten bei der Zusammenarbeit mit dem DGB sind offensichtlich auch auf
Meinungsunterschiede innerhalb des Gewerkschaftsbundes zurückzuführen.
Während ver.di, wie es in einem Rundschreiben heißt, in örtlichen
Aktionskomitees arbeiten und dort »das Gemeinsame herausheben und betonen
und das Trennende mehr in den Hintergrund rücken« will, haben andere
Gewerkschaften größere Berührungsängste. Lange Zeit
hieß es, die IG BCE werde die gewerkschaftliche Einheit brechen, sollte es
zu einem Zusammengehen mit den sozialen Bewegungen kommen.
Daß
den Unterschieden bei der Bündnisbereitschaft unterschiedliche politische
Positionen zugrunde liegen, zeigt sich an den Aufrufen der diversen
Gewerkschaftsgliederungen, die inhaltlich zum Teil deutlich divergieren. Die
Chemiegewerkschaft zieht recht nebulös »gegen marktradikale
Kräfte in Wirtschaft und Politik« zu Felde und läßt die
Politik der SPD-Grünen-Regierung nahezu unerwähnt. Der IG-BCE-Aufruf
schließt mit der Aussage: »Wir sind für Erneuerung und
Veränderung. Wir demonstrieren für das Modell Deutschland in einem
modernen Europa«. Ver.di tritt hingegen immerhin »für ein
soziales Deutschland in einem sozialen Europa« ein und fordert »eine
Politik, die Arbeitslosigkeit bekämpft und nicht die Arbeitslosen«. Je
basisnäher die Aufrufe, desto radikaler ihr Inhalt. In einer vom DGB
Stuttgart initiierten Erklärung heißt es: »Nicht die angebliche
Anspruchshaltung der Arbeitslosen oder das ›Besitzstandsdenken‹ der
Beschäftigten ist das Problem, sondern das Gewinnstreben der Reichen und
der Kapitalbesitzer und eine Wirtschaftspolitik, die ausschließlich diesen
Interessen untergeordnet wird.«
Jenseits aller Debatten
läuft die Mobilisierung selbst offensichtlich äußerst positiv.
»Die Flugblätter gehen weg wie nichts«, so der Stuttgarter
ver.di-Geschäftsführer Bernd Riexinger im jW-Gespräch. Eine gute
Mobilisierung könne dazu führen, »daß es hinterher im
betrieblichen Alltag leichter wird, daß man mit dem Rücken einen
Schritt von der Wand wegkommt«. Daß es vor dem 3. April zu
größeren betrieblichen Aktionen in Form von Streiks kommen
könnte, hält der linke Gewerkschafter indes für unwahrscheinlich.
Allerdings solle man den Protest hernach wieder in die Betriebe
zurücktragen: »Überall laufen Angriffe auf den
Flächentarifvertrag. In diesem Zusammenhang können wir den
betrieblichen Protest nach dem 3. April wieder
hochziehen.«
----------------------- Adresse:
http://www.jungewelt.de/2004/03-06/011.php Ausdruck erstellt am 06.03.2004
um 07:26:19 Uhr
Posted: Sa
- März 6, 2004 at 07:31 vorm.
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