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Querbeet :: aktuell

»Die Überflüssigen« besetzten die AWO

junge Welt vom 13.10.2004
Kritik an der Einführung von Ein-Euro-Jobs bei Wohlfahrtsverbänden. Berliner AWO-Chef Hans Nisblé ließ linke Aktivisten polizeilich räumen
Ronald Weber
Rund 80 Aktivisten des linken Berliner Bündnisses ACT! besetzten am Montag nachmittag als »Die Überflüssigen« die Zentrale der Berliner Arbeiterwohlfahrt (AWO) in Kreuzberg. Sie forderten eine klare Stellungnahme von seiten des Landesvorsitzenden Hans Nisblé (SPD) bezüglich der Einführung von Ein-Euro-Jobs ab 2005 bei der AWO. Diese hatte zwar zusammen mit anderen Wohlfahrtsverbänden Kritik an der Agenda 2010 der Bundesregierung geäußert, war aber Anfang September mit Bundessozialministerin Ulla Schmidt (SPD) über die Einrichtung von 10000 bis 15000 Ein-Euro-Jobs übereingekommen.

 

Die Besetzer bezeichneten die im Rahmen der Einführung des Arbeitslosengeldes II (ALG II) vorgesehenen Ein-Euro-Jobs als staatlich verordnete Zwangsarbeit und forderten den Berliner Landesvorsitzenden der AWO auf, sich davon zu distanzieren. »Noch ist es nicht zu spät! Noch seid Ihr nicht zu Hartzens billigen Vollstreckern verkommen«, hieß es in einem Flugblatt. Nisblé weigerte sich und verwies auf Beschlüsse des Bundesvorstandes. Im Gespräch mit den Besetzern äußerte der ehemalige Bezirksbürgermeister von Wedding, daß die Ein-Euro-Jobs ein probates Mittel seien, um »Arbeitslosen eine Chance zum Wiedereinstieg in den Arbeitsmarkt zu geben«.

Allgemein wird geschätzt, daß ab 2005 bis zu 600000 Ein-Euro-Jobs im Bereich der Pflege und Betreuung zur Verfügung gestellt werden könnten. Sie sollen ALG-II-Beziehern die Möglichkeit geben, sich ein »Zubrot« zu verdienen. Im Gegensatz zu Nisblé, der sich ganz im Sinne der Position des AWO-Bundesvorsitzenden Manfred Ragati äußerte, gibt es auch innerhalb der Wohlfahrtsverbände Kritik an den Ein-Euro-Jobs. Das Diakonische Werk Hamburg z.B. bezeichnete sie als unannehmbar. Der Betriebsrat und die Beschäftigten des Deutschen Roten Kreuzes Essen sprachen in einer öffentlichen Stellungnahme von »einem Angriff auf reguläre Beschäftigungsverhältnisse« und von »Lohn-, Qualitäts- und Rechtsdumping« durch die Bundesregierung.

Nachdem Nisblé gegenüber den Besetzern klargestellt hatte, daß er keinen sozialen Protest in seinem Hause dulde und sich weigerte, auf die Forderungen einzugehen, ließ er das Gebäude durch die Polizei räumen. Diese nahm die Personalien von 24 Besetzern auf. Es wurde Strafanzeige wegen Hausfriedensbruch gestellt. Die Besetzer, die weiße Gesichtsmasken und rote Pullover mit der Aufschrift »Die Überflüssigen« trugen, verlangten, das Gebäude gemeinsam verlassen zu dürfen. Darauf reagierten die Beamten mit der Androhung des Einsatzes von Pfefferspray.

In einer Stellungnahme der Besetzer hieß es, daß »Die Überflüssigen« stellvertretend für all diejenigen stehen, »deren Alltag seit jeher aus Erwerbslosigkeit, Armut, Hunger und Krieg besteht«, und es nun Zeit sei, sich nicht mehr »mit dem abgeschmackten Versprechen künftiger Teilhabe am gesellschaftlichen Reichtum abspeisen zu lassen«.

Ein Sprecher wertete die Besetzung als einen weiteren Schritt in Richtung eines verstärkten Widerstands gegen den Sozialabbau der Bundesregierung und im Hinblick auf einen heißen Herbst. »Diejenigen, die heute die Überflüssigen geräumt haben, sind vielleicht morgen schon selbst überflüssig«, äußerte er. Er forderte die Rücknahme der Anzeigen durch die AWO und kündigte weitere Aktionen der »Überflüssigen« an.

Adresse: http://www.jungewelt.de/2004/10-13/018.php

Posted: Mi - Oktober 13, 2004 at 09:55 vorm.  
   
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