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Querbeet :: aktuell

»Grüne sind zur käuflichen Partei verkommen«

junge Welt vom 13.01.2005
Interview
Die heutigen Grünen haben mit der vor 25 Jahren gegründeten Partei nichts mehr gemeinsam. Weniger Demokratie als in Kohls CDU. Ein Gespräch mit Jutta Ditfurth
Interview: Thomas Klein
* Jutta Ditfurth ist in Frankfurt a. M. Stadtverordnete von ÖkoLinX/Antirassistische Liste. Sie war 1980 Delegierte auf dem Gründungsparteitag der Grünen sowie von 1984 bis 1988 deren Bundesvorsitzende. 1991 verließ sie die Grünen wegen deren Rechtsentwicklung.

F: Vor genau 25 Jahren hatten die Grünen ihren Gründungsparteitag in Karlsruhe, Sie waren als Delegierte dabei. Seit Ihrem Parteiaustritt 1991 kritisieren Sie, daß die Grünen ihre früheren Ziele aufgegeben haben. Dennoch die Frage: Erkennen Sie in den Grünen des Jahres 2005 noch etwas wieder, was die Partei einst auszeichnete?

Nein. Die Grünen sind von einem emanzipatorischen, ökologischen und sozialen Projekt zu einer Kriegspartei heruntergekommen, die zudem die Armut und das Elend mitorganisiert.

 

F: Können Sie das konkretisieren?

Die Grünen vertraten anfangs antifaschistische und antimilitaristische Ziele. Heute führen sie im deutschen Herrschaftsinteresse Krieg. Sie verglichen 1999 die Lage im Kosovo mit Auschwitz, um den Krieg gegen Jugoslawien zu rechtfertigen. Sie relativierten damit auf unverzeihliche Weise den deutschen Massenmord an den europäischen Juden, an Osteuropäern, Roma und Sinti, Kommunisten und Sozialisten, Homosexuellen.

F: Als sich die Grünen am 13. Januar 1980 gegründet hatten, riefen die Delegierten »Weg mit dem Atomprogramm!«

Aus dem Gründungskonsens »Sofortige Stillegung aller Atomanlagen« machten die Grünen mit dem »Energiekonsens« längere Laufzeiten von Atomkraftwerken und bauten die Brücke zu neuen Reaktortypen und zur Atomfusion.

F: Außenminister Joseph Fischer, schon lange die Führungsfigur der Grünen, hält seit Jahren bei Umfragen den Spitzenplatz in der Beliebtheitsskala deutscher Politiker. In der Bevölkerung scheinen also die Richtung der Partei und die Entwicklung ihrer Vertreter auf Zustimmung zu stoßen ...

...weil wir in einer Gesellschaft leben, in der die korrupte Beziehung zwischen Parteien und dem Kapital, und die Tatsache, daß die Grünen zu einer käuflichen Partei verkommen sind, auch noch gelobt werden. Die Grünen waren einmal eine radikaldemokratische Partei. Heute herrscht unter Joseph Fischer weniger Demokratie als einstmals in der CDU unter Helmut Kohl.

F: Das Etikett »politisch links« sprechen Sie der Partei in jeder Hinsicht ab?

Selbstverständlich! Die Grünen waren in den 80ern einmal eine soziale und zeitweilig linke Partei. Heute jagen sie nicht nur mit Agenda 2010, »Hartz IV« und anderem unendlich viele Menschen in Zwangsarbeit und Armut. Sie organisieren z. B. durch Steuergesetze dem Kapital, von dessen Wohlwollen und Medien sie längst abhängig sind, noch mehr Reichtum. Die Grünen wollten einmal kämpfen gegen die Ausbeutung und Erniedrigung des Menschen und gegen die Vernichtung der Natur. Das geht ihnen heute genauso am Arsch vorbei wie Hunger, Krankheit und Tod von so vielen Menschen in Afrika.

F: In der Diskussion um »Hartz IV« und den insgesamt forcierten Sozialkahlschlag hat die SPD im vorigen Jahr einige Zeit in der Kritik gestanden, sie war Ziel vieler Proteste und hat bei Umfragen über Monate schlecht abgeschnitten. An den Grünen scheint das vorübergegangen zu sein. Wie erklären Sie das?

Was ihre materiellen Interessen angeht, können die Grünen einfach besser herumlügen als die FDP oder die SPD. Die Grünen sind heute die Partei eines Teils des Besitzbürgertums, das seinen Wohlstand und seine Dividende mit Gewalt wie Arbeitslosigkeit und Armut, aber notfalls auch mit Krieg durchsetzt. Sie profitieren dabei von ihrem »alternativen« Image, Wähler der Grünen und Partei passen da zueinander.

In keinem bürgerlichen Milieu ist der Orwellsche Jargon besser durchgesetzt: Verelendung ist »soziale Reform«, längere Laufzeiten für Atomanlagen sind »ökologische Politik« und Kriege »humanitäre Interventionen«. Die deutschen Todesschwadronen in Afghanistan sind vermutlich auch nur Berater für Vollwertkost und alternative Lebensstile.

*Jutta Ditfurth: »Das waren die Grünen«.Econ Taschenbuch Verlag, München 2000

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Adresse: http://www.jungewelt.de/2005/01-13/021.php

Posted: Do - Januar 13, 2005 at 06:47 vorm.  
   
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