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Sozialforum: offener Brief an die Bochumer Gewerkschaftsführung

Das Bochumer Sozialforum und die AG Soziale Grundrechte fordern in einem offenen Brief die Bochumer Gewerkschaftsspitzen auf, sich eindeutig hinter die Proteste gegen Hartz IV zu stellen und diese stärker zu fördern. Bisher habe die Bochumer Anti-Hartz IV-Bewegung noch keine offizielle Unterstützung von den Gewerkschaften erfahren, dagegen gibt es in den Nachbarstädten, Essen, Dortmund und Herne, bereits klare Äußerungen der Gewerkschaften gegen Hartz IV und die Agenda 2010. Dort haben die Gewerkschaften die Massendemonstrationen in Berlin und Nürnberg unterstützt und beteiligen sich auch weiterhin an den lokalen Protesten.
Hartz IV bedeutet mehr Rechtlosigkeit für Arbeitslose und ein Lohndumping auf dem regulären Arbeitsmarkt. Da die neuen Gesetze deshalb auch viele Arbeitnehmer betreffen, müssen die Gewerkschaften mit ihren Forderungen zu den Protesten gegen Hartz IV beitragen. Das derzeit in Bochum von den Funktionären praktizierte Aussitzen schadet vor allem den Gewerkschaftsmitgliedern und bringt die Gewerkschaften in eine Situation, in der sie sich bei weiteren sozialen Einschnitten nicht mehr wehren können. Deshalb ist ein gemeinsamer Kampf gegen Hartz IV und die Agenda 2010 nötig.

 

An die Vorsitzenden des DGB und der Gewerkschaften IGM, Ver.di, IGBCE in Bochum.
- Offener Brief -
Gegen das Aussitzen der Sozialraub-Angriffe von Agenda 2010 und Hartz IV

Liebe Kolleginnen und Kollegen,
die Agenda 2010 und Hartz IV bedeuten soziale Einschnitte, die in diesem Ausmaß einmalig in der Nachkriegsgeschichte sind - ein Projekt von historischer Bedeutung, wie der Kanzler mehrfach betonte. Hartz IV trifft nicht nur Langzeitarbeitslose, sondern auch die (noch) Beschäftigten. Neben Ängsten und Verunsicherung erzeugt das Gesetz vor allem mehr Rechtlosigkeit und eine weitere Verarmung von großen Teilen der Gesellschaft. Es bedeutet Milliarden-Einsparungen bei den Ärmsten, Arbeitszwang zu fast jeder Bedingung und verstärktes Lohndumping auf dem regulärem Arbeitsmarkt. Minister Clement hat jetzt noch einmal auf die massiven Einsparungen durch Hartz IV für den Bundeshaushalt hingewiesen. Bei Ver.di ist kürzlich berechnet worden, dass mit diesen Einsparungen bei den Ärmsten die Senkung der Spitzensteuern gegenfinanziert wird.

Vor diesem Hintergrund sehen wir die Gewerkschaften in der Verantwortung, an die Massenproteste gegen den Sozialabbau anzuknüpfen, wie sie mit den erfolgreichen Großdemonstrationen am 1. November 2003, 3. April und 2. Oktober 2004 begonnen haben und mit unzähligen Montagsdemos und der Großdemonstration am 6.11. in Nürnberg fortgeführt wurden. Auch die gewerkschaftspolitischen Forderungen müssen bei den Protesten einfließen. In der Tat ist bei allen Protesten gewerkschaftliche Beteiligung massiv sichtbar gewesen. Nicht nur durch normale Gewerkschaftsmitglieder, sondern auch durch ganze Orts- und Landesverbände.

In Bochum dagegen gibt es seit dem 3. April maximal noch interne Information und Beratung durch die Gewerkschaften, aber keinerlei Mobilisierung mit Außenwirkung mehr.
Was die offizielle Bochumer Gewerkschaftspolitik angeht, stellen wir enttäuscht fest, dass sie sich seit einigen Monaten gegenüber den Angriffen von Kapital und Regierung weitgehend taubstumm stellt. Die Bochumer Gewerkschaftsführungen ignorieren alle Proteste gegen den Sozialraub, wie z.B. die große Demonstration am 2.10. in Berlin. Statt Unterstützung erfahren die Demonstranten nur untätige Zurückhaltung von ihren Gewerkschaften. Das geschieht zum Teil in deutlichem Gegensatz zur Haltung des DGB in vielen Nachbarstädten. In Essen, Herne, Dortmund und in unzähligen anderen deutschen Städten riefen die Gewerkschaften zur Teilnahme an der Berliner Demo im Oktober auf. Sie stellten Busse bereit oder beteiligten sich Kosten. In vielen Städten und Kreisen ist seitens des DGB zu den Montagsdemos mobilisiert worden und hat es Unterstützung zu den Aktivitäten am 17.11. („Rückeroberung“ des Buß- und Bettages) gegeben.
Nicht so in Bochum.

Wir glauben nicht, dass sich die Bochumer Gewerkschaftsführung - insbesondere, was DGB, IGM und Ver.di angeht - in dieser zugespitzten Situation ein weiteres Aussitzen erlauben kann. Während die „Metall“-Zeitung wiederholt auf diese Zuspitzung hinweist, und wegen der neuen Qualität des Lohndumpings durch die tausendfache untertarifliche Zwangsverpflichtung für Erwerbslosezu dem Schluss kommt: „Widerstand ist nötig und möglich“, während Ver.di überregional das „Bündnis Soziale Bewegung“ zum Abwehrkampf schmiedet, haben sich in Bochum die Vorsitzenden der beiden größten Gewerkschaften IGM und Ver.di entschlossen, gar nichts mehr zu machen, was eine mobilisierende Wirkung nach außen hätte
Da in der gegenwärtigen Situation diese Haltung Konsequenzen für alle emanzipatorischen Kräfte weit über die Gewerkschaften hinaus hat, halten wir es für unsere Pflicht, unsere Kritik in einem öffentlich gemachten Brief zu benennen.

Wir sind überzeugt, dass die in Bochum praktizierte Rücksichtnahme auf die Krise der SPD keineswegs zu einem Kurswechsel führt. Gerhard Schröder hat bewiesen, dass er vor den Wahlen abgegebene Versprechen bedenkenlos bricht. Warum sollte er das nicht wieder tun, wenn er nochmal gewählt wird? Schröder sagt, die Agenda 2010 ist nur der Anfang eines längeren Prozesses. In der Tat zeichnet sich schon jetzt ab, wie es weiter geht. Die Erpressungen der Gewerkschaften durch DaimlerChrysler, Siemens, KarstadtQuelle, Volkswagen und Opel geben einen Vorgeschmack darauf. Wir meinen, wegducken hilft da nicht, sondern nur die Bereitschaft, die eigene Basis zu mobilisieren und durch Aufklärung Unterstützung in der Gesellschaft zu gewinnen. Nur damit baut die Gewerkschaft den nötigen Gegendruck zum neoliberalen Kurs von Regierung und Opposition auf.

Dass sich CDU/CSU und FDP noch unverhohlener als die SPD für die weitere Demontage des Sozialstaates und die Umverteilung von unten nach oben einsetzen, ist bekannt. Allerdings folgt daraus nicht, sich der Scheinlogik des kleineren Übels zu unterwerfen. Im Gegenteil, nur durch die Entwicklung der eigenen Mobilisierungsfähigkeit werden die Voraussetzungen geschaffen, damit man im Falle eines Regierungswechsels stark genug ist, um sich Merkel, Stoiber und Koch entgegenzustellen.

Im Auftrag des Bochumer Sozialforums - Plenum vom 29.11.04,
Mit freundlichen Grüßen
Ulrich Borchers Wilfried Moryson Dr. Andres Quast

Posted: Sa - Dezember 18, 2004 at 06:32 vorm.  
   
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