In einer Reihe von Gerichtsentscheidungen haben Sozialgerichte aus drei
Bundesländern die bisherige und durch das Bundesministerium für
Wirtschaft und Arbeit angeordnete Praxis der Behandlung von "eheähnlichen
Gemeinschaft" verworfen und die Behörden zur Nachzahlung der
ALG-II-Leistungen verpflichtet.
"Die Sozialgerichte haben in ihren
Entscheidungen an die gefestigte Rechtssprechung des Bundesverfassungsgerichtes
angeknüpft", erklärten die Erwerbsloseninitiativen: Eine
eheähnliche Gemeinschaft liege erst dann vor, wenn das partnerschaftliche
Verhältnis auf Dauer angelegt sei und weit über ein einfaches
gemeinsames Haushalten und Wirtschaften hinausgehe. Keinesfalls sei eine
sexuelle Beziehung ausschlaggebend für eine eheähnliche Gemeinschaft.
Diese könne frühestens nach drei Jahren des Zusammenlebens angenommen
und keinesfalls durch Hausbesuche festgestellt werden.
Die bisherige
behördliche Praxis sei dagegen, dass das Zusammenziehen eines Mannes und
einer Frau sofort als eheähnliche Gemeinschaft mit gegenseitiger
Unterhaltspflicht aufgefasst werde. Unter Hinweis darauf lehnten die
Behörden eigene Leistungen ab. Die Arbeitsgemeinschaft der Initiativen
nimmt an, dass durch diese Praxis "rund 500.000 Menschen um bis zu mehrere
hundert Euro monatlich sowie um Krankenversicherungsschutz, Pflegeversicherung
und Rentenversicherung betrogen" würden. Der überwiegende Teil der
Betroffenen dürften Frauen sein, so die Initiativen. Die BAG-SHI geht davon
aus, dass in der Konsequenz jetzt rund 100.000 Menschen aus der gesetzlichen
Krankenversicherung herausgefallen sind.
Auch dürfe die im
März für das ganze Jahr ausgezahlte Eigenheimzulage im ALG-II-Bezug
nicht als Einkommen angerechnet werden darf, da diese "privilegiertes Einkommen"
sei, das einem anderen Zweck diene als das ALG II selbst, berichten die
Initiativen unter Bezug auf ein Urteil des Landessozialgerichts Niedersachsen
(25.04.2005, Az.: L 8 AS 39/05 ER). Die ALG-II-Leistungsträger hätten
bundesweit die Eigenheimzulage auf verschiedenen Wegen angerecht - sogar, wenn
die Zulage zur Finanzierung des selbst genutzten Wohneigentums abgetreten worden
sei. Die Initiativen gehen hier von rund 50.000 Betroffenen aus.
Das
Bundestreffen mit rund 100 Teilnehmern aus der ganzen Bundesrepublik
begrüßte die jüngsten Sozialgerichtsentscheidungen einhellig. Die
BAG-SHI forderte Wirtschaftsminister Wolfgang Clement (SPD) als obersten
Dienstherren der ALGII-Leistungsträger auf, den Betroffenen monatelange
Widersprüche und Gerichtsverfahren zu ersparen und von sich aus die von den
Gerichten vorgegebenen Änderungen unbürokratisch und schnell
umzusetzen.
Für den Fall, dass Minister Clement dieser
Aufforderung nicht nachkomme, raten die Initiativen allen Betroffenen, sich
Hilfe bei Erwerbslosen- und Frauenorganisationen, Gewerkschaften, Verbänden
sowie Anwälten zu suchen, und gegen die Entscheidungen zur eheähnliche
Gemeinschaft und Eigenheimzulage konsequent in Widerspruch und Klage zu
gehen.
Die Betroffenenorganisation wies darauf hin, dass es auch
möglich sei, gegen schon rechtskräftige Bescheide mit dem Mittel von
Überprüfungsanträgen nach § 44 Sozialgesetzbuch X
vorzugehen, um eine Nachzahlung der Leistungen zu erreichen. Ein solcher
Überprüfungsantrag sei auch dann möglich und anzuraten, wenn die
Betroffenen sich bei der Beantragung von ALG II irrtümlich selbst als
eheähnliche Gemeinschaft eingestuft hätten.
http://www.ngo-online.de/ganze_nachricht.php?Nr=11025