Ein Alltag, der zum Beispiel so abläuft: Am Morgen des 25. Mai
umstellten mehrere Hundertschaften Polizei Flüchtlingsunterkünfte in
Köln. Türen wurden eingetreten, Menschen aus dem Schlaf gerissen. 16
Roma wurden nach Düsseldorf gebracht und mit anderen aus anderen
Städten in einer LTU-Chartermaschine nach Belgrad ausgeflogen. Unter den
Abgeschobenen, denen in Serbien Not und rassistische Verfolgung drohen, sind
keine Verbrecher und Prediger; unter ihnen ist ein schwer nierenkranker Mann,
der in Belgrad ohne Versorgung bleiben wird; in zwei Fällen wurden Familien
getrennt. Die meisten Abgeschobenen lebten schon länger als zehn Jahre in
Deutschland, viele der abgeschobenen Kinder wurden hier geboren. Eine
selbstmordgefährdete Frau entzog sich der Abschiebung: Sie sprang aus dem
Fenster und liegt jetzt im Krankenhaus. Viele der Abgeschobenen haben einen Tag
zuvor noch eine dreimonatige Duldung erhalten.
20 Stunden
später, in der Nacht zum 26. Mai, wurde in Hamburg ein Charterflugzeug
beladen, es ging via Amsterdam nach Togo. Über hundert behelmte und
maskierte Polizeibeamte mit Bündeln von Plastikfesseln in den Händen
waren im Einsatz. Kurz vor ein Uhr wurden Gefangene, gefesselt und mindestens
einer mit Abschiebehelm, einzeln oder zu zweit vom Hafthaus auf dem Flughafen in
Polizeitransporter gebracht. Um zwei Uhr startete die Maschine. An Bord etwa 40
abgelehnte Asylbewerber aus Togo und Kamerun, darunter zahlreiche, die
nachgewiesenermaßen von der Diktatur in Togo als Oppositionelle gesucht
werden.
Amnesty International kritisiert im Jahresbericht 2004 unter
anderem die Europäische Union und speziell Deutschland. Der Schutz von
Flüchtlingen werde nicht mehr hinreichend gewährleistet. Besonders
käme es zu Abschiebungen in Staaten, in denen grundlegende Menschenrechte
verletzt würden. Togo und Serbien gehören laut ai
dazu.
Otto Schily, Günther Beckstein und Peter Müller, die
das künftige Zuwanderungsgesetz machen, brauchen nicht den
mitfühlenden Blick auf die jährlich 20 000 Abgeschobenen. Sie brauchen
die öffentliche Wut auf Mehmet und Kaplan. So müssen sie die geplanten
Gesetzesverschärfungen nicht einmal rechtfertigen. Das Kaplan-Geschrei
übertönt jede Kritik, von Amnesty, vom UNHCR oder sonst wem. Wenn zum
Beispiel flächendeckend eine zweite Sorte Abschiebehaftanstalten,
sogenannte Ausreiselager, geplant werden; wenn die Rechtswegegarantie für
»Abschüblinge« weiter verkürzt oder ganz abgeschafft wird;
wenn auf die gesundheitliche Gefährdung durch die Abschiebung selber oder
durch die Verhältnisse im Zielland grundsätzlich keine Rücksicht
mehr genommen wird. Die Kritiker sagen, Richtschnur solcher geplanter
Grausamkeiten sei nicht das Menschenrecht auf Asyl, sondern die Haltung:
Flüchtlinge sind tote Kosten.
Solche Kritiker werden
hierzulande nicht erschlagen. Statt dessen produziert man öffentliche
Hysterie. Unblutig, laut, effektiv.
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Ausdruck erstellt am 06.06.2004
um 16:48:11 Uhr
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