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Querbeet :: aktuell

Politik schürt Hysterie

junge Welt vom 05.06.2004

Metin Kaplan und andere Normalfälle – deutsche Abschiebepraxis und das neue Zuwanderungsgesetz
Albrecht Kieser

Was wird im kollektiven Gedächtnis der Deutschen haften bleiben im Falle des Metin Kaplan? Schon wieder konnte einer nicht rausgeworfen werden, den hier keiner haben will. Unglaublich. Was haben wir bloß für lasche Gesetze. Da war doch schon mal einer. Dieser Mehmet. Genau. Dieser Mehmet aus München, so ein krimineller Jugendlicher. Auch so einer, bei dem man Schwierigkeiten hatte, ihn loszuwerden. Unglaublich, was wir für lasche Gesetze haben.

Der Fall Kaplan und der Fall Mehmet sind zwei Fälle von über 120 000. So viele Ausländer nämlich wurden seit 1998 aus Deutschland abgeschoben. Einer von ihnen hieß Aamir Ageeb. Nur wenigen wird dieser Name etwas sagen. Dabei ist er 1999 von Beamten des Bundesgrenzschutzes während des Abschiebefluges zu Tode gebracht worden. Es hat sogar fast fünf Jahre später einen Prozeß gegeben. Einen Prozeßversuch. Der Richter erklärte sich nach Wochen für nicht zuständig. Aamir Ageeb ist einer von 126 Menschen, die bei Abschiebemaßnahmen aus Deutschland umkamen oder sich umbrachten.

Wenn es nicht einmal diese Toten der außerordentlich funktionstüchtigen deutschen Abschiebemaschinerie ins öffentliche Bewußtsein schaffen, dringt der ganz gewöhnliche Abschiebealltag schon gar nicht in die veröffentlichte Meinung ein.

 

Ein Alltag, der zum Beispiel so abläuft: Am Morgen des 25. Mai umstellten mehrere Hundertschaften Polizei Flüchtlingsunterkünfte in Köln. Türen wurden eingetreten, Menschen aus dem Schlaf gerissen. 16 Roma wurden nach Düsseldorf gebracht und mit anderen aus anderen Städten in einer LTU-Chartermaschine nach Belgrad ausgeflogen. Unter den Abgeschobenen, denen in Serbien Not und rassistische Verfolgung drohen, sind keine Verbrecher und Prediger; unter ihnen ist ein schwer nierenkranker Mann, der in Belgrad ohne Versorgung bleiben wird; in zwei Fällen wurden Familien getrennt. Die meisten Abgeschobenen lebten schon länger als zehn Jahre in Deutschland, viele der abgeschobenen Kinder wurden hier geboren. Eine selbstmordgefährdete Frau entzog sich der Abschiebung: Sie sprang aus dem Fenster und liegt jetzt im Krankenhaus. Viele der Abgeschobenen haben einen Tag zuvor noch eine dreimonatige Duldung erhalten.

20 Stunden später, in der Nacht zum 26. Mai, wurde in Hamburg ein Charterflugzeug beladen, es ging via Amsterdam nach Togo. Über hundert behelmte und maskierte Polizeibeamte mit Bündeln von Plastikfesseln in den Händen waren im Einsatz. Kurz vor ein Uhr wurden Gefangene, gefesselt und mindestens einer mit Abschiebehelm, einzeln oder zu zweit vom Hafthaus auf dem Flughafen in Polizeitransporter gebracht. Um zwei Uhr startete die Maschine. An Bord etwa 40 abgelehnte Asylbewerber aus Togo und Kamerun, darunter zahlreiche, die nachgewiesenermaßen von der Diktatur in Togo als Oppositionelle gesucht werden.

Amnesty International kritisiert im Jahresbericht 2004 unter anderem die Europäische Union und speziell Deutschland. Der Schutz von Flüchtlingen werde nicht mehr hinreichend gewährleistet. Besonders käme es zu Abschiebungen in Staaten, in denen grundlegende Menschenrechte verletzt würden. Togo und Serbien gehören laut ai dazu.

Otto Schily, Günther Beckstein und Peter Müller, die das künftige Zuwanderungsgesetz machen, brauchen nicht den mitfühlenden Blick auf die jährlich 20 000 Abgeschobenen. Sie brauchen die öffentliche Wut auf Mehmet und Kaplan. So müssen sie die geplanten Gesetzesverschärfungen nicht einmal rechtfertigen. Das Kaplan-Geschrei übertönt jede Kritik, von Amnesty, vom UNHCR oder sonst wem. Wenn zum Beispiel flächendeckend eine zweite Sorte Abschiebehaftanstalten, sogenannte Ausreiselager, geplant werden; wenn die Rechtswegegarantie für »Abschüblinge« weiter verkürzt oder ganz abgeschafft wird; wenn auf die gesundheitliche Gefährdung durch die Abschiebung selber oder durch die Verhältnisse im Zielland grundsätzlich keine Rücksicht mehr genommen wird. Die Kritiker sagen, Richtschnur solcher geplanter Grausamkeiten sei nicht das Menschenrecht auf Asyl, sondern die Haltung: Flüchtlinge sind tote Kosten.

Solche Kritiker werden hierzulande nicht erschlagen. Statt dessen produziert man öffentliche Hysterie. Unblutig, laut, effektiv.
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Adresse: http://www.jungewelt.de/2004/06-05/011.php
Ausdruck erstellt am 06.06.2004 um 16:48:11 Uhr

 

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Posted: Mo - Juni 7, 2004 at 12:29 nachm.  
   
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