Nashornpower Bochumer Sozialforum
 Info zum Forum   Termine   Querbeet   Materialien   Presse   Links   Mailingliste   Kontakt 
disKURSwechsel :: alternativen

Konzept für eine "Solidarische Einfachsteuer"

Am vergangenen Wochenende haben Attac, Gewerkschaften, Kirchenleute und Umweltaktivisten auf einem "Perspektivkongress" in Berlin Alternativen zur neoliberalen Wirtschaftspolitik diskutiert.
Unter anderem stellten Attac und Verdi ein Konzept für eine "Solidarische Einfachsteuer" (SES) vor.
An der Erarbeitung dieses Konzepts haben mitgewirkt: Sven Giegold (Attac), Rudolf Hickel (Memo), Ralf Krämer (Verdi), Astrid Kraus (Attac), Detlev von Larcher (Attac), Axel Troost (Memo), Achim Truger (WSI in der Hans-Böckler-Stiftung), Burkhard Winsemann.
Auszüge aus der von der Gewerkschaft Verdi und der Attac-Bewegung entwickelten Idee unter >Read More<
Die Langfassung als PDF-Datei:
ver_di-attac-steuerkonzept.pdf

 

URL: http://www.fr-aktuell.de/ressorts/nachrichten_und_politik/dokumentation/?cnt=439684


Steuern sind nicht nur Kosten
Konzept für eine "Solidarische Einfachsteuer" / Auszüge aus der von der Gewerkschaft Verdi und der Attac-Bewegung entwickelten Idee
Mit der Steuer geht's auch einfacher und vor allem gerechter als bisher, sagen die Dienstleistungs- gewerkschaft Verdi und die Attac-Bewegung: Die Bürger sollen entlastet, Ausnahmen gestrichen, Möglichkeiten, Gewinne durch Tricks klein zu rechnen, eingeschränkt und die Kapitalflucht ins Ausland gestoppt werden.

Die von uns vorgeschlagene "Solidarische Einfachsteuer" beruht auf den folgenden Leitlinien:

Gerechtigkeit: Vor allem muss die Verteilung der Steuerlast sozial gerecht gestaltet werden. Dazu dient das Prinzip der ökonomischen Leistungsfähigkeit, die sowohl im Einkommen als auch im Vermögen zum Ausdruck kommt. Daraus lässt sich eine progressive Einkommensteuer ableiten, die dafür sorgt, dass mit dem Einkommen auch der Anteil der davon zu entrichtenden Einkommensteuer zunimmt. Nach einem exis-tenzsichernden Grundfreibetrag gilt bis zum "Spitzeneinkommen" eine Zone linearer Progression (konstant steigender Grenzsteuersatz), danach ein Spitzensteuersatz.

Gesamtes Einkommen versteuern: aus dem Prinzip der Leistungsfähigkeit ergibt sich die Notwendigkeit einer "synthetischen", umfassenden und gleichmäßigen Besteuerung des gesamten Einkommens: Das heißt, alle Einkommensarten, die durch erwerbswirtschaftliche Aktivitäten außerhalb der Privatsphäre entstehen, sind grundsätzlich steuerpflichtig, werden zusammengerechnet und in vollem Umfang nach einem einheitlichen Steuertarif belastet. Eine separate (ermäßigte) Besteuerung einzelner Einkünfte ("Schedulenbesteuerung"), wie sie mit der Forderung nach einer Abgeltungsteuer auf Zinseinkünfte von z.B. 25 Prozent oder einer ermäßigten Besteuerung aller Kapitaleinkünfte im Rahmen einer "Dualen Einkommensteuer" propagiert wird, widerspricht dieser Idee. Dies schließt unterschiedliche Techniken der Besteuerung nicht aus, beispielsweise den Quellenabzug bei Lohnsteuer und Kapitalertragsteuern oder die Veranlagung bei den Einkommen der Selbstständigen oder bei den Kapitaleinkünften. Nur müssen sie zu einer ökonomisch gleichen Belastung führen, also nicht einzelne Einkünfte (v.a. aus Kapitalvermögen) faktisch privilegieren.

Schlupflöcher stopfen: Wir wollen die effektive Besteuerung am Verlauf der tariflichen Steuersätze ausrichten. Dazu sind die vielen Steuerschlupflöcher zu stopfen und die nicht begründbaren Steuervorteile abzubauen, damit steigende Steuersätze nicht durch umfangreiche Möglichkeiten zur Verringerung des zu versteuernden Einkommens erodiert werden. Die Steuerflucht ins Ausland ist effektiv zu bekämpfen, Steuersparmodelle, insbesondere im Bereich Vermietung und Verpachtung, sind zu beseitigen. Ziel ist, die tatsächlichen ökonomischen Gewinne und Einkommen periodengerecht zu erfassen und gleichmäßig zu besteuern. Bei der Unternehmensbesteuerung dürfen keine Gewinne mehr in der Bilanz versteckt werden (stille Reserven); privat veranlasste Aufwendungen dürfen die steuerpflichtigen Einkünfte nicht schmälern; Veräußerungsgewinne sind grundsätzlich steuerpflichtig (außer privat genutztem Vermögen); Möglichkeiten zur Minderung der steuerlichen Bemessungsgrundlage (Rückstellungen, Abschreibungen) sind auf ein ökonomisch begründetes Ausmaß einzuschränken. Förderungsziele, die bisher die Bemessungsgrundlage der Einkommensteuer reduzierten (z.B. Freibeträge oder Sonderabschreibungen), sind zwar nicht grundsätzlich abzulehnen. In vielen Fällen wäre es aber transparenter, zielgenauer und gerechter, direkte Finanzzuschüsse für bestimmte förderungswürdige Zwecke (z.B. Investitionen in Umweltschutz oder For-schung) zu gewähren.

Öffentliche Leistungen finanzieren: die öffentlichen Haushalte der Gebietskörper-schaften müssen fiskalisch künftig so ausgestattet werden, dass sie vor allem die für die Wirtschaft und Gesellschaft wichtigen allokativen, distributiven und stabilitätspolitischen Aufgaben wahrnehmen können. Im Unterschied zum vorherrschenden Zeitgeist sind Steuern eben nicht nur Kosten, sondern sie sichern die Finanzierungsbasis für öffentliche Leistungen, die den Steuerzahlern zugute kommen.

Alle Einkommen gleichmäßig und progressiv besteuern

Wir wollen wieder eine gerechte Belastungsdifferenzierung herstellen zwischen Armen und Reichen, zwischen Arbeitnehmern, Selbstständigen und Rentnern, zwischen Jung und Alt. Deswegen bleiben wir bei einem progressiven Tarif. Auch die Geschlechtergerechtigkeit ist bei der Ausgestaltung der Einkommensbesteuerung zu beachten. Dazu müssen alle Einkommen der Steuerpflichtigen erfasst und einem einheitlichen Steuertarif unterworfen werden. Eine gleichmäßige Besteuerung aller Einkommen ist auch wirtschaftspolitisch angezeigt, weil viele unsinnige Lenkungswirkungen des gegenwärtigen Systems vermieden werden.

Alle Einkünfte, die durch erwerbswirtschaftliche Aktivitäten außerhalb der Privatsphäre entstehen, sind grundsätzlich steuerpflichtig. Steuerfrei bleiben lediglich Eigenleistungen im privaten Haushalt, selbst genutztes Privatvermögen (eigene Wohnung etc.) und Transfers wie Sozialhilfe, Wohngeld, Stipendien etc.

Bei der Einkommensermittlung müssen Erwerbskosten (Betriebsausgaben, Werbungskosten) abgezogen werden. Ziel ist, die wirklichen, in der Periode entstehenden Gewinne und Einkommen zu erfassen. Steuervergünstigungen müssen gestrichen und Gestaltungsmöglichkeiten vor allem bei der Gewinnermittlung soweit wie möglich reduziert werden. Ausgaben der privaten Lebensführung dürfen nicht abgezogen werden, bei teilweise privat motivierten Aufwendungen wie z.B. Bewirtungskosten, Arbeitszimmer in Privatwohnung sind strenge Maßstäbe und Höchstbeträge anzuwenden. "Liebhaberei" darf nicht steuerlich anerkannt werden, also wenn jemand private Interessen als Erwerbstätigkeit deklariert und die dabei entstehenden Verluste verrechnen will, etwa bei Galerien, Reitställen oder der Vermietung von Ferienhäusern, Yachten etc.


Je mehr es gelingt, die tatsächlichen Gewinne und Einkommen zu erfassen und die Bildung von stillen (steuerfreien) Reserven zu unterbinden, desto weniger ist eine Begrenzung des Verlustausgleichs zwischen den Einkunftsarten oder auf der Zeitachse (Verlustvortrag) erforderlich. Für die Alt-Verluste aus dem bisherigen System werden allerdings die gegenwärtigen Beschränkungen bei der Nutzung des Verlustvortrags beibehalten, um das Unternehmenssteueraufkommen zu stabilisieren.

Mehr Geld für sinnvolle öffentliche Zukunftsaufgaben

Die öffentlichen Haushalte sind schon seit Jahren in einer scheinbar ausweglosen Lage: Auf Grund der schwachen Konjunktur, aber auch der Steuersenkungsreformen der letzten Jahre brechen die Steuereinnahmen ein; die Ausgaben für Arbeitslosengeld und -hilfe sowie Sozialhilfe steigen, weil immer mehr Menschen arbeitslos werden und die sozialen Probleme zunehmen. Auch die deutsche Wiedervereinigung verursacht nach wie vor Ausgabenbedarf. Gleichzeitig haben die öffentlichen Ausgabenbedarfe unabhängig von den konjunkturbedingt gewachsenen sozialen Bedarfen zugenommen und werden in Zukunft weiter zunehmen, auch wenn das der wirtschaftspolitische Zeitgeist nicht wahrhaben will: Investitionen in die Schul- und Hochschulbildung, in die flächendeckende Kinderbetreuung, in Forschung, in kommunale und ökologische Infrastruktur stehen auf der Agenda aller politischen Parteien zumindest der Rhetorik nach ganz oben. In der praktischen Politik jedoch fällt die Sozialpolitik, fallen aber auch die zentralen Zukunftsausgaben zunehmend einer strengen Sparpolitik zum Opfer - der Staat hat kein Geld.

Die Finanznot der öffentlichen Haushalte ist aber nicht einfach naturgegeben oder Resultat der Konjunkturkrise. Sie ist vielmehr zu einem erheblichen Teil darauf zurückzuführen, dass sich die Regierungen durch Steuerreformen selbst das Wasser abgegraben haben: Großzügige Nettoentlastungen - vor allem zu Gunsten der Wohlhabenden und gut Verdienenden sowie der Unternehmen - reißen bei weiter bestehenden Ausnahmen und Steuervergünstigungen große Löcher in die öffentlichen Haushalte. Unter Hinweis auf die Untragbarkeit der hohen Staatsverschuldung und das Damoklesschwert des EU-Stabilitätspakts wird jetzt hektisch auf der Ausgabenseite gekürzt. Auf der Strecke bleiben die soziale Sicherung und die Zukunftsaufgaben. Eine Politik der Steuerentlastungen dient so letztlich dem vordergründig populären Ziel, den staatlichen Einfluss zurückzudrängen - Motto: Nur ein armer Staat ist ein guter Staat. Dabei ist der staatliche Einfluss in Deutschland nicht zu groß - die Steuer- und Abgabenquote liegt im internationalen Vergleich nur im Mittelfeld, die eigentliche Steuerquote sogar niedrig. Angesichts der unerledigten Zukunftsaufgaben sind die öffentlichen Ausgaben eher zu niedrig. In Deutschland ist der Anteil der öffentlichen Investitionen am Bruttoinlandsprodukt in den letzten zehn Jahren ständig gefallen und liegt nun bei nur noch 1,6 Prozent, während der EU-Durchschnitt ziemlich stabil blieb und bei 2,4 Prozent liegt. Allein um diesen Rückstand aufzuholen, müssten die öffentlichen Investitionen in den nächsten Jahren um 16 Milliarden Euro steigen.

Weil die Menschen aber einen handlungsfähigen, sozial gerechten und zukunftsfähigen Staat brauchen, haben Nettoentlastungen in unserem Steuerkonzept keinen Platz. Das heißt, Senkungen der Steuersätze werden nur so weit vorgenommen, wie sie durch Abbau von Steuervergünstigungen finanziert werden können. Unser Konzept bringt zur Finanzierung zentraler Zukunftsaufgaben ein deutliches Mehraufkommen gegenüber dem geltenden Gesetz.

Bemessungsgrundlage: Vier Einkommensarten reichen

(. . .) Wir schlagen vier Haupt-Einkunftsarten vor, an denen sich die Modernisierung des Einkommensteuerrechts orientieren kann:

a. Einkünfte aus unternehmerischer und freiberuflicher Tätigkeit: Hierin gehen alle Einkünfte aus selbstständiger Tätigkeit ein, also die bisherigen Einkünfte aus Land- und Forstwirtschaft, aus Gewerbebetrieb, aus selbständiger Arbeit (vor allem Freiberufler) sowie die Einkünfte aus Vermietung und Verpachtung. Für Unternehmen gilt grundsätzlich ein spezielles Steuerbilanzrecht, das auf eine konsequente periodengerechte Ermittlung des ökonomischen Gewinns im Sinne des Reinvermögenszugangs ausgerichtet ist. Für Kleinunternehmen und private Vermietung gilt eine vereinfachte Steuerbilanz, die sich an der gegenwärtigen Überschussrechnung orientiert, jedoch Abschreibungen auf das Anlagevermögen berücksichtigt und gravierende Gestaltungsmöglichkeiten vermeidet.

b. Einkünfte aus nichtselbstständiger Arbeit: Hierin finden sich - wie bisher - die Arbeitseinkommen einschließlich der geringfügigen Beschäftigung sowie die Abgeordnetenbezüge.

c. Einkünfte aus Kapitalvermögen: Diese enthalten sämtliche Einkünfte aus Kapitalanlagen, also Zinsen, Dividenden und andere Gewinnausschüttungen von Kapitalgesellschaften sowie die Gewinne aus der Veräußerung der betreffenden Kapitalanlagen.

d. Versorgungseinkünfte und sonstige Einkünfte: Alle Alters- und Versorgungseinkünfte sollen längerfristig einheitlich und "nachgelagert" besteuert werden, also die Renten aus der gesetzlichen Rentenversicherung und der betrieblichen Altersvorsorge, die Beamten- und Abgeordnetenpensionen sowie andere Leibrenten, soweit die dazu geleisteten Beiträge als Vorsorgeaufwendungen von der Bemessungsgrundlage abzugsfähig sind. (. . .)
© Frankfurter Rundschau online 2004

Posted: Mi - Mai 26, 2004 at 03:24 nachm.  
   
>
 
impressum