Ob Briefträger, LKW-Fahrer, Lagerarbeiter,
McDonalds-Servicekräfte oder Call-Center-Agents für
Niedrigstlöhne schuften, sogenannte Ich-AGs sich für ihre Existenz
abstrampeln, Leiharbeiter bei obskuren Vermittlungsagenturen um ihre Entlohnung
kämpfen müssen, eine kasachische Ärztin bundesdeutsche Wohnungen
putzt, kurdische Flüchtlinge im Imbiß schwitzen, Polen, Rumänen,
Deutsche und Portugiesen auf Baustellen malochen, Heimarbeiterinnen auf Abruf
einsatzbereit sein müssen oder Studierende Kinokarten abreißen und
später Hilfsjobs im Ausbildungssektor innehaben – die vermeintliche
Wissens- oder Informationsgesellschaft gründet auf Zeitarbeit und
Niedriglohn. Damit nicht genug: Der flexibilisierte Kapitalismus läßt
Lohnarbeit ohne oder auf Basis miserabler Tarifverträge zu einer neuen
Normalität auch für immer größere Teile von
Stammbelegschaften in Großunternehmen werden, vor der sich diese bis vor
kurzem noch sicher wähnten. Diese Entwicklung erfaßt nahezu alle
Beschäftigten und ist Ausdruck der verbreiteten Prekarität der
Arbeits- und Lebensverhältnisse im Kapitalismus. Um jedoch den Begriff
prekäre Lohnarbeit nicht der Beliebigkeit auszuliefern, sollte diese von
der »geregelten Prekarisierung« durch die »normale«
Verschlechterung der Tarifverträge und der sozialen Absicherung
unterschieden werden.
Prekäre Arbeit im ursprünglichen
Sinne meint arbeiten ohne Gewähr dafür, das Leben damit fristen zu
können. Arbeitsrechte, Interessenvertretung und Gesundheitsschutz sind
häufig Fremdworte im beruflichen Alltag. Viele setzen sich diesen
Zwängen und Ungewißheiten aus, um ihre existentiellen
Lebensbedürfnisse befriedigen zu können; andere, weil sie es damit
noch immer besser haben als zuvor. Wieder andere betrachten die Zustände
als Zwischenetappe zum sozialen Aufstieg. So vielfältig die Jobs und
Bedingungen sind, so verschieden sind Selbstverständnis, Perspektiven und
Ziele der Beschäftigten. Wenige bis gar keine Alternativen haben indes
mehrheitlich Migrantinnen und Migranten, vor allem all jene ohne Papiere:
Razzien und Sondergesetze, die Bevorzugung von Deutschen auf dem Arbeitsmarkt,
Arbeitsverbote für Flüchtlinge – eine
»Zuwanderungspolitik«, die in die Illegalität und Schwarzarbeit
drängt, zwingt diese Menschen in die miesesten Jobs.
Die
Gewerkschaften richten ihr Augenmerk nach wie vor vor allem auf die
»Besserverdiener«, auf die Hochqualifizierten in den allmählich
rarer werdenden Großbetrieben – und hierbei wiederum auf die
Stammbelegschaften, während die befristet eingestellten und entliehenen
Kolleginnen und Kollegen alleingelassen werden. Dazu kommt ein Mangel
adäquater gewerkschatlicher Strategien zur Organisierung der
Beschäftigten und zur Initiierung von Arbeitskämpfen. Die auf
betriebliche Interessenvertretung durch Betriebsräte ausgerichtete
gewerkschaftliche Praxis muß versagen angesichts einer Vielzahl
unterschiedlichster Arbeitsverhältnisse und dem dadurch bedingten Mangel
innerbetrieblicher Kommunikation.
Neue Ansätze der Gegenwehr
sind allerdings auch von seiten der prekär Beschäftigten selbst
bislang kaum vorhanden. Dabei zeigen der Streik der im Kulturbereich von
Frankreich prekär Beschäftigten, der afrikanischen Putzfrauen in Paris
und der Arbeitskampf um Entlohnung und Aufenthaltsstatus von Landarbeitern in
Spanien, daß wirksamer Widerstand durchaus möglich ist. Und selbst in
Deutschland bewegt sich etwas, wie die Proteste »irregulärer«
Bauarbeiter in Berlin bewiesen haben. Gerade Migrantinnen und Migranten
entwickeln neue Strategien des Widerstands und wenden sich gegen eine Situation
der Rechtlosigkeit.
Aktuell rückt die EU-Osterweiterung
Wanderarbeiter stärker ins Blickfeld der Gewerkschaften. Leider gehorchen
einige Gewerkschaftsfunktionäre jedoch Reflexen der Ausgrenzung und
Denunziation. Das macht es unabdingbar, die vereinzelt erfolgreichen
Ansätze der Selbstorganisierung und des Kampfes auszutauschen, zu
bündeln und auf eine breitere Basis zu stellen. Gerade an der Schnittstelle
»prekärer Beschäftigung und legaler wie illegaler Migration«
gilt es für die Betroffenen, mehr Rechtssicherheit zu erlangen, ohne auf
starre Organisations- und Regulationsformen klassischer Art zurückgreifen
zu können und zu wollen.
Mit dem Ziel, die Zusammenarbeit der
bestehenden Selbsthilfegruppen zu intensivieren, findet vom 25. bis 27. Juni an
der Fachhochschule Dortmund die Konferenz »Die Kosten rebellieren.
Internationale Versammlung zu Prekarisierung und Migration«
statt.
* Infos zum Kongreß im Internet:
www.labournet.de -----------------------
Adresse: http://www.jungewelt.de/2004/06-12/015.php