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Querbeet :: Sozialkahlschlag

Expansion der Hungerlöhner

junge Welt vom 12.06.2004
Mit dem Ziel, die Zusammenarbeit der bestehenden Selbsthilfegruppen zu intensivieren, findet vom 25. bis 27. Juni an der Fachhochschule Dortmund die Konferenz »Die Kosten rebellieren. Internationale Versammlung zu Prekarisierung und Migration« statt.
Was über Jahrzehnte hinweg vor allem Frauen, Migrantinnen und Migranten »vorbehalten« war, wird für zunehmend mehr Menschen zum bitteren Alltag
Mag Wompel

Niedrig entlohnte, befristete und unregulierte Arbeitsverhältnisse – als prekäre Arbeit bezeichnet, die kein oder kaum ein Auskommen gewährleistet – gab es schon immer. Doch was über Jahrzehnte hinweg vor allem Frauen, Migrantinnen und Migranten »vorbehalten« war, wird für zunehmend mehr Menschen zum bitteren Alltag. Seit Jahren expandiert prekäre Lohnarbeit in allen Wirtschaftssektoren. Deregulierte Arbeitsverhältnisse nehmen in dem Maße zu, wie Dienstleistungen aus den Unternehmen ausgelagert – Stichwort: outsourcing –, Arbeit flexibilisiert und ein Niedriglohnsektor staatlich gefördert werden.

 

Ob Briefträger, LKW-Fahrer, Lagerarbeiter, McDonalds-Servicekräfte oder Call-Center-Agents für Niedrigstlöhne schuften, sogenannte Ich-AGs sich für ihre Existenz abstrampeln, Leiharbeiter bei obskuren Vermittlungsagenturen um ihre Entlohnung kämpfen müssen, eine kasachische Ärztin bundesdeutsche Wohnungen putzt, kurdische Flüchtlinge im Imbiß schwitzen, Polen, Rumänen, Deutsche und Portugiesen auf Baustellen malochen, Heimarbeiterinnen auf Abruf einsatzbereit sein müssen oder Studierende Kinokarten abreißen und später Hilfsjobs im Ausbildungssektor innehaben – die vermeintliche Wissens- oder Informationsgesellschaft gründet auf Zeitarbeit und Niedriglohn. Damit nicht genug: Der flexibilisierte Kapitalismus läßt Lohnarbeit ohne oder auf Basis miserabler Tarifverträge zu einer neuen Normalität auch für immer größere Teile von Stammbelegschaften in Großunternehmen werden, vor der sich diese bis vor kurzem noch sicher wähnten. Diese Entwicklung erfaßt nahezu alle Beschäftigten und ist Ausdruck der verbreiteten Prekarität der Arbeits- und Lebensverhältnisse im Kapitalismus. Um jedoch den Begriff prekäre Lohnarbeit nicht der Beliebigkeit auszuliefern, sollte diese von der »geregelten Prekarisierung« durch die »normale« Verschlechterung der Tarifverträge und der sozialen Absicherung unterschieden werden.

Prekäre Arbeit im ursprünglichen Sinne meint arbeiten ohne Gewähr dafür, das Leben damit fristen zu können. Arbeitsrechte, Interessenvertretung und Gesundheitsschutz sind häufig Fremdworte im beruflichen Alltag. Viele setzen sich diesen Zwängen und Ungewißheiten aus, um ihre existentiellen Lebensbedürfnisse befriedigen zu können; andere, weil sie es damit noch immer besser haben als zuvor. Wieder andere betrachten die Zustände als Zwischenetappe zum sozialen Aufstieg. So vielfältig die Jobs und Bedingungen sind, so verschieden sind Selbstverständnis, Perspektiven und Ziele der Beschäftigten. Wenige bis gar keine Alternativen haben indes mehrheitlich Migrantinnen und Migranten, vor allem all jene ohne Papiere: Razzien und Sondergesetze, die Bevorzugung von Deutschen auf dem Arbeitsmarkt, Arbeitsverbote für Flüchtlinge – eine »Zuwanderungspolitik«, die in die Illegalität und Schwarzarbeit drängt, zwingt diese Menschen in die miesesten Jobs.

Die Gewerkschaften richten ihr Augenmerk nach wie vor vor allem auf die »Besserverdiener«, auf die Hochqualifizierten in den allmählich rarer werdenden Großbetrieben – und hierbei wiederum auf die Stammbelegschaften, während die befristet eingestellten und entliehenen Kolleginnen und Kollegen alleingelassen werden. Dazu kommt ein Mangel adäquater gewerkschatlicher Strategien zur Organisierung der Beschäftigten und zur Initiierung von Arbeitskämpfen. Die auf betriebliche Interessenvertretung durch Betriebsräte ausgerichtete gewerkschaftliche Praxis muß versagen angesichts einer Vielzahl unterschiedlichster Arbeitsverhältnisse und dem dadurch bedingten Mangel innerbetrieblicher Kommunikation.

Neue Ansätze der Gegenwehr sind allerdings auch von seiten der prekär Beschäftigten selbst bislang kaum vorhanden. Dabei zeigen der Streik der im Kulturbereich von Frankreich prekär Beschäftigten, der afrikanischen Putzfrauen in Paris und der Arbeitskampf um Entlohnung und Aufenthaltsstatus von Landarbeitern in Spanien, daß wirksamer Widerstand durchaus möglich ist. Und selbst in Deutschland bewegt sich etwas, wie die Proteste »irregulärer« Bauarbeiter in Berlin bewiesen haben. Gerade Migrantinnen und Migranten entwickeln neue Strategien des Widerstands und wenden sich gegen eine Situation der Rechtlosigkeit.

Aktuell rückt die EU-Osterweiterung Wanderarbeiter stärker ins Blickfeld der Gewerkschaften. Leider gehorchen einige Gewerkschaftsfunktionäre jedoch Reflexen der Ausgrenzung und Denunziation. Das macht es unabdingbar, die vereinzelt erfolgreichen Ansätze der Selbstorganisierung und des Kampfes auszutauschen, zu bündeln und auf eine breitere Basis zu stellen. Gerade an der Schnittstelle »prekärer Beschäftigung und legaler wie illegaler Migration« gilt es für die Betroffenen, mehr Rechtssicherheit zu erlangen, ohne auf starre Organisations- und Regulationsformen klassischer Art zurückgreifen zu können und zu wollen.

Mit dem Ziel, die Zusammenarbeit der bestehenden Selbsthilfegruppen zu intensivieren, findet vom 25. bis 27. Juni an der Fachhochschule Dortmund die Konferenz »Die Kosten rebellieren. Internationale Versammlung zu Prekarisierung und Migration« statt.

* Infos zum Kongreß im Internet: www.labournet.de
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Adresse: http://www.jungewelt.de/2004/06-12/015.php

Posted: Sa - Juni 12, 2004 at 02:13 vorm.  
   
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