In unserer Gesellschaft haben wir eine weitgehende Trennung der
Lebensbereiche „Arbeiten“ und „Wohnen“, bzw.
genaugenommen „Arbeiten“ und „Privatleben“. Diese
Trennung ist ein wesentliches Grundmerkmal unserer Gesellschaft und zugleich
eine wichtige demokratische Errungenschaft gegenüber den Strukturen der
Feudalgesellschaft!
Der Bereich Arbeit ist fremdbestimmt, unterliegt dem
Direktionsrecht des Arbeitgebers. Der Privatbereich ist selbstbestimmt. Jeder
kann sich die Wohnung suchen, die ihm gefällt, kann mit der Person
zusammenziehen, mit der er möchte, kann sein Privatleben so gestalten, wie
er bzw. sie es möchte, und all das geht den Arbeitgeber überhaupt
nichts an. Wer will, kann die Bereiche „Arbeit“ und
„Privatleben“ weitgehend voneinander trennen. Das stimmt auch exakt
mit dem Recht auf informationelle Selbstbestimmung
überein.
Bisher findet sich diese Trennung von Arbeit und
anderen Lebensbereichen auch in der Struktur der Behörden und Verwaltungen
wieder.
Für den Bereich „Arbeit“ war das Arbeitsamt als
Bundesbehörde zuständig, für den Bereich „Wohnen“
sind es die kommunalen Wohngeldämter bzw. im Bedarfsfalle die
Sozialämter.
Diese Behörden haben bisher vollständig
voneinander unabhängig organisierte und im Regelfall auch nicht
verknüpfte Datenbestände.
Im Sinne und Interesse des
Datenschutzes und des Rechtes auf informationelle Selbstbestimmung ist diese
Trennung völlig richtig und darüber hinaus auch bedeutsam und
wichtig!
Eben nicht „nur“ per Datenschutzregelungen, sondern
institutionell, durch die Verteilung unterschiedlicher Aufgaben auf
unterschiedliche Behörden, war bisher für ein hoher Maß an Schutz
persönlicher Daten gesorgt.
Die institutionelle Trennung von Sozialamt
und Arbeitsamt, die institutionelle Trennung von „Arbeiten“ und
„Wohnen“ war und ist bisher noch ein Garant für viele
Freiheitsrechte!
Strukturen der Feudalgesellschaft kehren
zurück!Mit Hartz IV aber wird das vollständig anders!
Denn alle Daten einer Person, aus dem beruflichen Bereich genauso wie auch aus
dem Privatbereich, laufen in Zukunft bei einer Stelle zusammen und werden auf
Dauer gespeichert.
Die zukünftigen Arbeitsvermittlungen, egal von wem
sie betrieben werden, haben Informationen aus allen Lebensbereichen über
die Arbeitssuchenden.
Gerade die Verknüpfung von Daten aus
unterschiedlichen Bereichen stellt stets eine besondere Bedrohung für den
Datenschutz und für das Recht auf informationelle Selbstbestimmung
dar.
Die sogenannten Fallmanager haben alle, aber auch alle
Informationen über einen Menschen. Sei es über Erkrankungen, sei es
über Partnerschaften oder sexuelle Vorlieben, sei es über berufliche
Qualifizierung oder berufliche Probleme – der „Big Brother“
Fallmanager weiß alles, beobachtet alles, wertet alles aus, und zwar unter
dem Gesichtspunkt möglicher Kosteneinsparungen und möglichst des
Hinauswurfs aus dem Leistungsbezug!
Die zukünftigen Datenbanken
bei den Agenturen für Arbeit, bei den Kommunalen Arbeitsvermittlungen oder
den Arbeitsgemeinschaften enthalten Daten sensibelster Art aus allen
Lebensbereichen in einem Datensatz!
Damit wird das Recht auf
informationelle Selbstbestimmung, das bisher durch die Trennung der Daten aus
unterschiedlichen Lebensbereichen gewährleistet war, für eine
großen Teil der Bevölkerung faktisch
liquidiert.
Darüber hinaus ist bis heute weitgehend unklar, in
welcher Rechtsform zukünftig die Vermittlung und Verwaltung der Bezieher
des ALG II stattfinden wird. Je nach Bundesland oder sogar Kommune liegt die
Erfassung und Verwaltung und Auswertung der Daten bei den Kommunen, bei
Arbeitsgemeinschaften zwischen Kommunen und der Bundesagentur für Arbeit,
teilweise allein bei der Agentur für Arbeit.
Diese Zersplitterung auf
unterschiedliche Institutionen, je nach Stadt, je nach Bundesland, macht eine
effektive Regelung und Kontrolle des Datenschutzes vollends
unmöglich.
Hartz IV bedeutet durch die Aufhebung der
institutionellen Trennung der Bereiche Arbeit und Privatleben eine immense
Gefahr nicht nur für das Recht auf informationelle Selbstbestimmung. Hartz
IV ist eine riesige Bedrohung für alle demokratischen
Freiheitsrechte.
An zwei Beispielen sollen konkrete mögliche
Auswirkungen geschildert werden:
Bereich Wohnen /
Mietkonflikte:Wie bereits gesagt, sind in unserer Gesellschaft
die Bereiche „Wohnen“ und „Arbeiten“ weitgehend
getrennt. Viele Menschen wohnen weit weg von ihrer Arbeitsstelle. Es geht den
Arbeitgeber nichts an, wie und wo man wohnt, und es geht den Vermieter
(außer evtl. beim Abschluß eines Mietvertrages) nichts an, wo man
arbeitet.
Die Verletzung des Rechts auf informationelle Selbstbestimmung
kann gerade bei Hartz IV eine Fülle negativer Folgen für die
Betroffenen haben. Menschen, die von Arbeitslosigkeit betroffen sind, haben ein
berechtigtes Interesse daran, daß gerade der Vermieter nichts vom Status
der Arbeitslosigkeit erfährt. Arbeitslose und Sozialhilfeempfänger
haben in dieser Gesellschaft ein sehr negatives Image. Dies hat mit der
Realität nichts zu tun, wird aber von den Medien genauso wie von den
Politikern systematisch geschürt.
Mit der Abschaffung der
Arbeitslosenhilfe, die offiziell als „Zusammenlegung von Arbeitslosen- und
Sozialhilfe“ verharmlost und verkauft wird, wird dem Stigma der
Arbeitslosigkeit noch das Stigma des Sozialhilfeempfängers
draufsetzt.
Konkret bedeutet Hartz IV für Empfänger von ALG
II, daß die Vermieter grundsätzlich darüber informiert werden,
daß der Mieter bzw. die Mieterin den Status „arbeitslos“ und,
schlimmer noch, den Status „Empfänger von ALG II“ (also:
„bettelarm“) hat.
Diese Information liegt nicht nur an einem
schlecht formulierten oder unglücklich gestalteten Fragebogen, sondern ist
systematisch in Hartz IV integriert, ist Kernbestandteil von Hartz IV
!
Es gibt – und zwar in jeder Beziehung nachvollziehbar –
eine Fülle von Menschen, die in ihrem Umfeld, in der Nachbarschaft, auch
und gerade vor allem dem Vermieter gegenüber verschweigen, daß sie
arbeitslos sind.
Sie zahlen pünktlich ihre Miete, und es geht es den
Vermieter überhaupt nichts an, daß das Geld dafür nicht von einer
Firma, sondern in Form von Arbeitslosenhilfe, einer Lohnersatzleistung, vom
Arbeitsamt kommt.
Und bisher gab es auch keinerlei Veranlassung und
auch keinerlei Grundlage dafür, daß der Vermieter diese Information
über den Mieter erhielt.Das Arbeitsamt wußte nicht, wer der Vermieter
ist, und es ging das Arbeitsamt auch nichts an.
Auch beim derzeitigen
Wohngeld erhält der Vermieter letztlich nur die Information: „Im
Verhältnis zur Wohnungsmiete relativ niedriges Einkommen“, was
angesichts der Höhe der Wohnungsmieten ja auch für sehr viele Menschen
mit Arbeit zutrifft. Diese Daten bezüglich Wohngeld liegen zudem bei den
von den Arbeitsämtern völlig getrennten kommunalen
Wohnungsämtern.
Gerade vom Vermieter gibt es eine Fülle von
Abhängigkeiten. Ein Mietverhältnis beinhaltet ein beträchtliches
Konfliktpotential.
Jetzt erhalten die Vermieter institutionalisiert und per
gesetzliche Regelung eine zusätzliche, bisher nicht vorhandene Information
über die Mieter. Eine Information, die eine Fülle von
Diskriminierungs- und Benachteiligungsmöglichkeiten eröffnet.
Das kann schon eine gesprächsweise Mitteilung in die Nachbarschaft
sein, der Betroffene sei arbeitslos – und wer kann es denn schon
nachweisen, daß es der Vermieter war, von dem diese Information kam? Das
kann gehen bis zur Information an das Gericht im Falle eines
Kündigungsprozesse. Im Falle von Konflikten zwischen Vermieter und Mieter
wird diese Information zur Waffe in der Hand des Vermieters..
Eine
Fülle subtilerer, aber genauso wirksamer Diskriminierungen ist denkbar und
wird geschehen.
Bereich Sexualität:Die gerade
erreichte Liberalisierung im Bereich Sexualität wird via Hartz IV
ausgehebelt. Mit Hartz IV ist die Freiheit, mit wem welchen Geschlechtes man
zusammenwohnen möchte, am Ende und faktisch liquidiert.
Mit den
sogenannten „Bedarfsgemeinschaften" wird nicht nur eine Haftung bzw.
Heranziehung zum Unterhalt von Mitbewohnern gegenüber den bisherigen
Regelungen verschärft, vereinfacht und wahrscheinlicher gemacht,
darüber hinaus werden penibel Daten erhoben und über Jahre und
Jahrzehnte hin gespeichert. In diesem Sinne und in diesem Bereich führt
Hartz IV zu einem gesellschaftspolitischen Rollback, den sich bisher niemand
auch nur im entferntesten ausmalt.
Fazit:Mit Hartz
IV untrennbar verknüpft sind massive Verletzungen des Rechtes auf
informationelle Selbstbestimmung. Dies ist sehr konkret und beinhaltet eine
Fülle nachteiliger Auswirkungen auf die Betroffenen.
Handeln
der Datenschutzbeauftragten erforderlich!Wir halten es für
unbedingt erforderlich, daß die Datenschutzbeauftragten des Bundes und
Länder in klarer Form und sehr entschieden gegen Hartz IV Stellung
beziehen.
Bei Hartz IV geht es nicht nur um die schlechte Formulierung
eines Formulars, sondern Hartz IV bedeutet von seiner ganzen Struktur her die
Entziehung des Rechtes auf informationelle Selbstbestimmung bei einem
beträchtlichen Teil der Bevölkerung; potentiell bei den 90% der
Bevölkerung, die abhängig beschäftigt sind. Allen Erfahrungen
nach werden restriktive Regelungen für Teilgruppen der Gesellschaft nach
der Einführung auf immer mehr Menschen ausgedehnt.
Der
Arbeitsmarkt ist nicht statisch, sondern in ständiger Bewegung:
Jährlich verlieren etwa eine Million Menschen ihren Arbeitsplatz, etwa 800
000 finden einen neuen (zu oft deutlich schlech¬teren Bedingungen als
zuvor). Von Arbeitslosigkeit und von Hartz IV betroffen sind also insgesamt weit
mehr Menschen als die Zahl von rund 5 Millionen „offiziell“
Arbeitslosen.
Bezogen auf Hartz IV heißt das, daß sich in
wenigen Jahren Datenbestände von mindestens 10 Millionen Menschen ansammeln
werden. Datenbestände mit noch weit detaillierteren und geprüfteren
Daten, als bei der Volkszählung 1987. Diese ist am Widerstand der
Bevölkerung und am Urteil des Bundesverfassungsgerichtes zur
informationellen Selbstbestimmung gescheitert.
Hartz IV ist faktisch eine
Neuauflage der Volkszählung, mit der ein ganz erheblicher Anteil der
Bevölkerung erfaßt werden soll.
Die Verweigerung der
Zählung ist zudem diesmal gekoppelt an die Strafe des
Hungerns!
Hartz IV trifft qualifizierte, langjährig
Beschäftigte!Hartz IV trifft nicht die traditionell
Arbeitslosen – Menschen mit geringer Qualifikation – sondern gerade
Menschen aus qualifizierten Berufen, mit hochwertiger Ausbildung und
Berufserfahrung. Hartz IV ist unter anderem die staatliche Reaktion auf die
Tatsache, daß die Firmen in den letzten Jahren zunehmend immer mehr
langjährig Beschäftigte, gut verdienende Mitarbeiter kündigen.
Diese haben über viele Jahre hin hohe Beiträge an die
Arbeitlosenversicherung bezahlt
Gerade denen werden mit der Kürzung
der Bezugsdauer von Arbeitslosengeld diese Versicherungsleistungen
vorenthalten!
Hartz IV trifft den Facharbeiter, der dreißig Jahre lang
Beiträge in die Arbeitslosenversicherung eingezahlt hat, sich mühsam
und liebevoll ein Häuschen gebaut und es gerade zum größten Teil
abgezahlt hat.
Hartz IV trifft den Angestellten, der 30 Jahre hinterm
Ladentisch gestanden hat und sich für ein sorgenfreies Alter viel von
seinem Gehalt für eine Lebensversicherung abgeknapst hat. Hartz IV bedeutet
Enteignung des mühsam ersparten Hauses, der mühsam ersparten
Alterssicherung.
Allenfalls ironisch und als makabre Ergänzung kann
man dabei noch sehen, daß es sich bei denen, die von Hartz IV vor allem
betroffen sind, um die Stammwählerschaft der SPD
handelt.
Breiter Widerstand kann Hartz IV
kippen!Eine breite Widerstandsbewegung, ähnlich wie bei der
Volkszählung, hat gute Argumente und gute Aussichten, Hartz IV zu kippen.
Die Forderung der Stunde lautet: Hartz IV stoppen und
zurücknehmen!
Quelle:
http://www.labournet.de/diskussion/arbeit/realpolitik/hilfe/consument.html