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Querbeet :: Sozialkahlschlag

Wohnung ade

junge Welt vom 28.07.2004

Sozialverbände befürchten Bildung von Armutsghettos durch die Regelungen von »Hartz IV«
Till Meyer

»Hartz IV« wirft seine Schatten nicht nur im Hinblick auf erbärmlich niedrige Einkommen und damit zwangsläufig verbundene Verarmung der Betroffenen voraus. Mit der Einführung des Arbeitslosengeldes II (ALG II) ab 1. Januar nächsten Jahres werden viele Langzeiterwerbslose zudem ihre bisherige Wohnung verlieren. Bezieher dieses »Armutsgeldes« müssen dann davon ausgehen, daß Wohnungsgröße und Quadratmeterpreis sich an den strengen Regeln der gängigen Sozialhilfepraxis orientieren. Wohnfläche, Mietpreis und Ausstattung einer Wohnung müssen für den Empfänger von ALG II als »angemessen« gewertet werden.

 

Was als »angemessen« gilt, ist von Bundesland zu Bundesland unterschiedlich. Ursprünglich hatte Bundeswirtschaftsminister Wolfgang Clement (SPD) den Sozialverbänden und Gewerkschaften eine bundesweite einheitliche Rechtsverordnung zur Übernahme der Mietkosten zugesagt, die es aber nun nicht geben wird. Martin Künkler von der Berliner Koordinierungsstelle gewerkschaftlicher Arbeitslosengruppen bedauert das gegenüber jW: »Während die Agenturen für Arbeit zuständig für das Arbeitslosengeld II sind, wird die Angemessenheit einer Wohnung von den Sozialämtern der Kommunen bestimmt. Bei den chronischen Defiziten der Kommunen gehen wir davon aus, daß diese die Angemessenheit sehr restriktiv auslegen werden.«

Betroffen von »Hartz IV«/ALG II sind ab dem 1. Januar 2005 in Deutschland etwa 2,2 Millionen Menschen, die heute noch Arbeitslosenhilfe beziehen, und etwa eine Million Sozialhilfeempfänger, die als arbeitsfähig gelten. Bei der Koordinierungsstelle geht man davon aus, daß Hunderttausende von Erwerbslosen ihre Wohnungen wechseln müssen, weil sie von den Kommunen nicht als angemessen betrachtet werden. »Arbeitsmarktpolitisch ist es kontraproduktiv, Umzüge zu erzwingen. Nach dem Verlust der Arbeit wird der Zwangsumzug die Lage der Betroffenen eher noch weiter destabilisieren und diese Menschen zutiefst verunsichern und weiter entwurzeln«, prognostiziert Künkler.

Clement bezeichnete die Besorgnis der Sozialverbände, es könnten sich infolge der »Arbeitsmarktreform« Armutsghettos in Billigwohnblöcken bilden, als Panikmache. Am Wochenende beschwerte sich der Minister gegenüber den Medien: »Ich weiß nicht, was einem noch alles einfallen kann, um Menschen in Angst und Schrecken zu jagen.« Hartmann Vetter vom Berliner Mieterverein sieht das gegenüber jW allerdings anders. »Im Vollzug von Arbeitslosengeld II wird auf die Betroffenen ein enormer Druck zukommen, die Wohnung zu wechseln.« Laut Vetter sind allein in Berlin 160 000 Personen betroffen, die unter die Regelung des Arbeitslosengeldes II fallen werden.

Was gilt als »angemessener Wohnraum«? Es gibt unterschiedliche Beihilfeberechnungen für Alt- und Neubauten und für West-und Ostdeutschland. Die Zahlen gelten noch als vorläufig, weil Kückler zufolge ein großes Durcheinander herrscht. Nach derzeitigem Informationsstand hat im Durchschnitt ein alleinlebender ALG-II-Empfänger (West) Anspruch auf 50 Quadratmeter Wohnfläche und 274 Euro Mietbeihilfe auf die Kaltmiete. Ein arbeitsloses Ehepaar darf maximal 60 Quadratmeter bewohnen und kann mit 354 Euro Mietbeihilfe rechnen, ein Dreipersonenhaushalt kommt demnach auf eine zulässige Wohnungsgröße von 75 Quadratmetern und erhält 418 Euro Mietbeihilfe. Für jeden weiteren Mitbewohner werden jeweils 12 Quadratmeter hinzugerechnet. In Ostdeutschland liegen die durchschnittlichen Beihilfen bei gleicher Wohnungsgröße unter denen im Westen: Ein alleinstehender Erwerbsloser soll 208 Euro im Monat erhalten. Zwei Personen 286 Euro und drei Personen haben Anspruch auf 332 Euro Mietbeihilfe. Wie gesagt, das sind alles noch bundesweite Durchschnittswerte, die sich im Zuge der Einführung von »Hartz IV« im Detail verändern können, jedoch nicht in der Tendenz.

Ist die Wohnung größer und teurer, gilt sie laut »Hartz IV« nicht mehr als angemessen, und die Kommunen werden sich weigern, eine höhere Mietbeihilfe zu zahlen. »In diesem Fall werden die Arbeitslosen aufgefordert, sich eine billigere Wohnung zu suchen«, so Künkler.

Es wird jedoch nicht nur zwischen Ost- und Westdeutschland unterschieden. So gelten für Berlin andere Regelungen als für Nordrhein-Westfalen. Dort würde beispielsweise nach derzeitigem Stand einem ALG-II-Empfänger nur 45 Quadratmeter zugestanden, er bekäme aber 288 Euro Mietbeihilfe, während in Berlin ein Alleinstehender für maximal 50 Quadratmeter 227 Euro Beihilfe für einen Altbau bekommen soll.

Auch die Zuschüsse für Heizkosten sind in jedem Bundesland unterschiedlich geregelt. ALG-II-Empfänger, die Besitzer eines Eigenheims, beispielsweise in den Bergarbeitersiedlungen an der Ruhr, sind, müssen ihr Eigentum erst dann verkaufen, wenn der Wohnraum über der vorgegebenen Quadratmeterzahl liegt. Künkler: »Die Häuschen sind zwar selten größer als der bewilligte Wohnraum, aber es kann auch passieren, daß diese Menschen es verkaufen müssen, weil es als Vermögen angerechnet wird.«

* Koordinierungsstelle der gewerkschaftlichen Arbeitslosengruppen Berlin: www.erwerbslose.de
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Posted: Mi - Juli 28, 2004 at 12:10 nachm.  
   
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