Was als »angemessen« gilt, ist von Bundesland zu Bundesland
unterschiedlich. Ursprünglich hatte Bundeswirtschaftsminister Wolfgang
Clement (SPD) den Sozialverbänden und Gewerkschaften eine bundesweite
einheitliche Rechtsverordnung zur Übernahme der Mietkosten zugesagt, die es
aber nun nicht geben wird. Martin Künkler von der Berliner
Koordinierungsstelle gewerkschaftlicher Arbeitslosengruppen bedauert das
gegenüber jW: »Während die Agenturen für Arbeit
zuständig für das Arbeitslosengeld II sind, wird die Angemessenheit
einer Wohnung von den Sozialämtern der Kommunen bestimmt. Bei den
chronischen Defiziten der Kommunen gehen wir davon aus, daß diese die
Angemessenheit sehr restriktiv auslegen werden.«
Betroffen von
»Hartz IV«/ALG II sind ab dem 1. Januar 2005 in Deutschland etwa 2,2
Millionen Menschen, die heute noch Arbeitslosenhilfe beziehen, und etwa eine
Million Sozialhilfeempfänger, die als arbeitsfähig gelten. Bei der
Koordinierungsstelle geht man davon aus, daß Hunderttausende von
Erwerbslosen ihre Wohnungen wechseln müssen, weil sie von den Kommunen
nicht als angemessen betrachtet werden. »Arbeitsmarktpolitisch ist es
kontraproduktiv, Umzüge zu erzwingen. Nach dem Verlust der Arbeit wird der
Zwangsumzug die Lage der Betroffenen eher noch weiter destabilisieren und diese
Menschen zutiefst verunsichern und weiter entwurzeln«, prognostiziert
Künkler.
Clement bezeichnete die Besorgnis der
Sozialverbände, es könnten sich infolge der
»Arbeitsmarktreform« Armutsghettos in Billigwohnblöcken bilden,
als Panikmache. Am Wochenende beschwerte sich der Minister gegenüber den
Medien: »Ich weiß nicht, was einem noch alles einfallen kann, um
Menschen in Angst und Schrecken zu jagen.« Hartmann Vetter vom Berliner
Mieterverein sieht das gegenüber jW allerdings anders. »Im Vollzug von
Arbeitslosengeld II wird auf die Betroffenen ein enormer Druck zukommen, die
Wohnung zu wechseln.« Laut Vetter sind allein in Berlin 160 000 Personen
betroffen, die unter die Regelung des Arbeitslosengeldes II fallen
werden.
Was gilt als »angemessener Wohnraum«? Es gibt
unterschiedliche Beihilfeberechnungen für Alt- und Neubauten und für
West-und Ostdeutschland. Die Zahlen gelten noch als vorläufig, weil
Kückler zufolge ein großes Durcheinander herrscht. Nach derzeitigem
Informationsstand hat im Durchschnitt ein alleinlebender ALG-II-Empfänger
(West) Anspruch auf 50 Quadratmeter Wohnfläche und 274 Euro Mietbeihilfe
auf die Kaltmiete. Ein arbeitsloses Ehepaar darf maximal 60 Quadratmeter
bewohnen und kann mit 354 Euro Mietbeihilfe rechnen, ein Dreipersonenhaushalt
kommt demnach auf eine zulässige Wohnungsgröße von 75
Quadratmetern und erhält 418 Euro Mietbeihilfe. Für jeden weiteren
Mitbewohner werden jeweils 12 Quadratmeter hinzugerechnet. In Ostdeutschland
liegen die durchschnittlichen Beihilfen bei gleicher Wohnungsgröße
unter denen im Westen: Ein alleinstehender Erwerbsloser soll 208 Euro im Monat
erhalten. Zwei Personen 286 Euro und drei Personen haben Anspruch auf 332 Euro
Mietbeihilfe. Wie gesagt, das sind alles noch bundesweite Durchschnittswerte,
die sich im Zuge der Einführung von »Hartz IV« im Detail
verändern können, jedoch nicht in der Tendenz.
Ist die
Wohnung größer und teurer, gilt sie laut »Hartz IV« nicht
mehr als angemessen, und die Kommunen werden sich weigern, eine höhere
Mietbeihilfe zu zahlen. »In diesem Fall werden die Arbeitslosen
aufgefordert, sich eine billigere Wohnung zu suchen«, so
Künkler.
Es wird jedoch nicht nur zwischen Ost- und
Westdeutschland unterschieden. So gelten für Berlin andere Regelungen als
für Nordrhein-Westfalen. Dort würde beispielsweise nach derzeitigem
Stand einem ALG-II-Empfänger nur 45 Quadratmeter zugestanden, er
bekäme aber 288 Euro Mietbeihilfe, während in Berlin ein
Alleinstehender für maximal 50 Quadratmeter 227 Euro Beihilfe für
einen Altbau bekommen soll.
Auch die Zuschüsse für
Heizkosten sind in jedem Bundesland unterschiedlich geregelt.
ALG-II-Empfänger, die Besitzer eines Eigenheims, beispielsweise in den
Bergarbeitersiedlungen an der Ruhr, sind, müssen ihr Eigentum erst dann
verkaufen, wenn der Wohnraum über der vorgegebenen Quadratmeterzahl liegt.
Künkler: »Die Häuschen sind zwar selten größer als der
bewilligte Wohnraum, aber es kann auch passieren, daß diese Menschen es
verkaufen müssen, weil es als Vermögen angerechnet
wird.«
* Koordinierungsstelle der gewerkschaftlichen
Arbeitslosengruppen Berlin:
www.erwerbslose.de
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