|
|
AWO: Reform reißt Familien auseinander
30.07.2004 www.neue-oz.de Die künftige "Hartz-IV"-Reform
reißt nach Angaben der Arbeiterwohlfahrt (AWO) Familien auseinander. In
einem Interview mit der Zeitung sagte AWO-Bundesausschussmitglied Paul Saatkamp
am Freitag: "Das sind zynische Folgen einer grausamen
Reform."
Das Interview, das Paul Saatkamp, Mitglied im
Bundesausschuss der Arbeiterwohlfahrt und ehemaliger Sprecher der Nationalen
Armutskonferenz, der Zeitung gab, hat folgenden Wortlaut:
Herr Saatkamp, wie reagieren die Menschen denn nun auf Hartz IV -
haben sie begriffen, was auf sie zukommt?
Saatkamp: Was
derzeit in Deutschland wegen der Arbeitsmarktreform geschieht, habe ich mir in
meinen schlimmsten Träumen nicht vorstellen können. Die
Langzeitarbeitslosen, die bisher Arbeitslosengeld oder Arbeitslosenhilfe bezogen
haben, versuchen offenbar mit allen Mitteln, ihr für das Alter schwer
erspartes Vermögen und das ihrer Familienmitglieder und Lebenspartner vor
dem Zugriff der Arbeitsagenturen zu retten: So sollen Bankkonten leer
geräumt werden, um das Geld einer Kontrolle zu
entziehen.
Gibt es weitere Reaktionen?
Saatkamp: Viele lassen sich ihre Einlagen in
Lebensversicherungen so weit auszahlen, dass die Restsumme den Betrag nicht
übersteigt, der für das Arbeitslosengeld II unschädlich ist. Man
kann es den Menschen nicht verübeln, dass sie ihr Geld beiseite schaffen.
Denn Langzeitarbeitslose, die dem Aufruf der Politiker gefolgt sind und
rechtzeitig für das Alter vorgesorgt hatten, sind demnächst die
Dummen, weil sie das Geld aufbrauchen müssen, bevor sie Ansprüche aus
der Arbeitslosenversicherung realisieren können.
Können
Sie Beispiele nennen?
Saatkamp: Ein 54-jähriger
Journalist, der sein Lebtag die Höchstbeiträge in die
Arbeitslosenversicherung eingezahlt hat und jetzt mit einer Abfindung entlassen
wurde, bekommt ein Jahr Arbeitslosengeld. Weil er aber zusätzlich noch eine
Lebensversicherung hat, die er ebenso wie die Abfindung und seine Ersparnisse
weitgehend aufbrauchen muss, wird er nach diesem Jahr bis zum Renteneintritt
keinen Pfennig Arbeitslosengeld II bekommen. Das ist reine Willkür, denn
immerhin ist die Arbeitslosenversicherung ja eine Zwangsabgabe. Viele Familien
aber trifft es noch viel schlimmer, denn das Arbeitslosengeld II entzweit
sie.
Wieso trennt das Arbeitslosengeld II Familien?
Saatkamp: Bei Haushaltsgemeinschaften wird das gesamte
Einkommen aller Mitglieder zu Grunde gelegt. Das bedeutet zigtausendfach, dass
Arbeitslose nur deshalb nach einem Jahr kein Geld mehr bekommen, weil Eltern,
Kinder oder Lebenspartner ausreichend verdienen. Uns werden zunehmend Fälle
bekannt, in denen Eltern die Absicht äußern, ihre erwachsenen
arbeitslosen Kinder aus dem Haus zu schicken, damit die weiter Arbeitslosengeld
II erhalten und nicht allein vom Geld der Eltern leben müssen. Das sind
zynische Folgen einer sowieso grausamen Reform.
An welche
Grausamkeiten denken Sie?
Saatkamp: Aus dem schönen
Wort vom "Fördern und Fordern" ist allein "Kürzen und Fordern"
übrig geblieben. Denn schon jetzt ist absehbar, dass die versprochene
bessere Vermittlung in Arbeit, Lehre oder Qualifikation nicht funktionieren
wird. Zum einen benötigen die Arbeitsagenturen bei fünf Millionen
Arbeitslosen, die ja mehrheitlich im Laufe der nächsten Jahre ins
Arbeitslosengeld II rutschen, rund 50000 Vermittler als Fallmanager, um die
Arbeitslosen angemessen betreuen zu können. Das ist illusorisch. Und das
Schlimmste ist, dass bestehende Strukturen, mit denen Jugendliche qualifiziert
auf Lehre und Beruf vorbereitet werden, zurzeit zerschlagen
werden.
Können Sie das
erläutern?
Saatkamp: Die Bundesagentur schreibt diese
Kurse inzwischen aus. Regelmäßig erhalten dann Billiganbieter mit
Billigkräften den Zuschlag, die keine qualifizierte Arbeit leisten
können. Das hilft den Jugendlichen nicht und sorgt dafür, dass
bestehende, erfolgreiche Einrichtungen schließen müssen. Allein die
AWO muss hunderte von hoch qualifizierten Ausbildern entlassen, die bisher
Jugendliche auf den Beruf oder die Ausbildung vorbereitet haben. Wenn man zudem
bedenkt, dass spätestens im Januar die Wut bei den Betroffenen ihren
Höhepunkt erreicht, weil die Zahlungen für Millionen
Langzeitarbeitslose gekürzt werden oder ganz entfallen, ohne dass
gleichzeitig Aussicht auf einen Job besteht, dann muss man das Schlimmste
befürchten.
Was für Auswirkungen erwarten Sie
denn?
Saatkamp: Der Ärger dürfte sich bei vielen
Langzeitarbeitslosen aus der Sprachlosigkeit in Aggression und Gewalt Bahn
brechen. Wir erwarten - ebenso wie die Gewerkschaft der Polizei -, dass es zu
Handgreiflichkeiten und Gewalt vor und in den Arbeitsagenturen kommt. Die
Arbeitsagenturen sehen das offenbar genauso. Wenn jetzt erste Arbeitsagenturen -
etwa in Halle - private Sicherheitsdienste engagieren, dann zeigt das, wie real
die Gefahr von Ausschreitungen ist. Da werden Arbeitslose bereits jetzt von
schwarzen Sheriffs empfangen. Daran kann man unter anderem erkennen, wie eine
verfehlte Sozialpolitik sogar Gewalt auslösen wird. All das läuft
früher oder später auf eine neue außerparlamentarische Opposition
heraus, die sich auch nicht scheuen wird, Konflikte auf der Straße
auszutragen.
Posted: Mo - August 2, 2004 at 03:02 nachm.
>
|
|
|