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Bochum im Ein-Euro-Jobber-Rausch
junge Welt vom 30.03.2005
Im
Ein-Euro-Jobber-Rausch
Bochumer Schulverwaltung sieht keinen
Anlaß, arbeitsrechtliche Standards einzuhalten. Der Personalrat strengt
eine Klage vor dem Verwaltungsgericht an Tomasz
Konicz
Die Stadt Bochum setzt auf einen umfassenden
Ausbau von Arbeitsgelegenheiten für ALG-II-Empfänger. Diese
sogenannten Ein-Euro-Jobs dürfen nur zusätzlich zu regulärer
Beschäftigung entstehen und sollen dem »Allgemeininteresse«
dienen. Inzwischen sind 1000 Arbeitsgelegenheiten bei der örtlichen
Arbeitsgemeinschaft für die Grundsicherung Arbeitssuchender (ARGE)
gemeldet, von denen 600 bereits besetzt sind. An die 4000 sollen es
schließlich in Bochum werden, berichteten die Ruhr-Nachrichten am 22.
März.
Maulkorb für Träger
Als Träger der Vermittlung
und »Qualifizierung« der Ein-Euro-Jobber fungieren die Caritas, die
Arbeiterwohlfahrt und das private »Institut für Berufliche Bildung
Gisela Vogel«.
Neben der Grünflächenpflege und der
Altenbetreuung kommen die Ein-Euro-Jobber auch in einem besonders sensiblen
Bereich zum Einsatz: in Schulen Bochums. Bereits in den vergangenen Monaten sind
80 solcher Stellen im Schulbereich geschaffen worden – weitere sollen
folgen. Die Geschäftsführerin der ARGE, Susanne Schomburg, betonte
zwar, »daß durch die Zusatzjobs keine Konkurrenz zum ersten
Arbeitsmarkt entsteht«, doch scheinen die Verantwortlichen ihren eigenen
Beteuerungen nicht glauben zu wollen. In einem Rundschreiben kürzlich an
die Schulleiter Bochums forderte Schulamtsleiter Ulrich Wicking diese auf, bei
Presseanfragen die »Art und den Umfang der Informationen« vorher mit
ihm abzusprechen. Diesen Maulkorb verpaßte den Trägern der
»Zusatzjobs« auch die für die Belange der ALG-II-Bezieher
zuständige ARGE.
Doch selbst die offiziellen Stellungnahmen der
Verantwortlichen sind widersprüchlich. Anfang März, bei einer
Diskussion mit dem Personalrat an den Grund- und Hauptschulen, versuchten
Kulturdezernent Hans-Georg Küppers und Schulverwaltungsamtsleiter Wicking
den Spagat: Die Ein-Euro-Kräfte an den Schulen seien unentbehrlich, da
durch den Wegfall von ABM und Zivildienststellen »eine Fülle von
notwendigen Tätigkeiten im Schulbereich in Zukunft immer weniger
ausgeführt werden könnte«. Dennoch sei die Schulverwaltung
überzeugt, daß nur »zusätzliche« und nicht schulisch
notwendige Arbeiten auf diese Weise ausgeführt werden. Im Klartext: Da
reguläre Arbeitsplätze nicht finanzierbar sind, werden Zwangsarbeiter
beschäftigt. Die Unterfinanzierung des Bildungswesens wird zum Sachzwang
erklärt.
Da es sich bei den Ein-Euro-Jobs nur um
Arbeitsgelegenheiten handelt, sieht die Schulverwaltung keinen Anlaß,
arbeitsrechtliche Standards einzuhalten: Die Ein-Euro-Kräfte hätten
keinen Anspruch auf personalvertretungsrechtlichen Schutz – nicht einmal
ein Informationsrecht des Personalrats hielten die Spitzenbeamten für
gegeben. Der Personalrat ist nicht bereit, diese Entrechtung der Ein-Euro-Jobber
hinzunehmen und strengt eine Klage vor dem Verwaltungsgericht Bochum an. Es gibt
auch innerhalb der Lehrerschaft beträchtliche Vorbehalte gegen den Einsatz
von schlecht ausgebildeten und motivierten Arbeitskräften. Die GEW und die
»Soziale Liste Bochum« lehnen Ein-Euro-Jobs im Bildungssektor generell
ab.
Arbeitsplatzvernichtung
Der massive Einsatz von
Ein-Euro-Jobbern spielt eine wichtige Rolle beim Aufbau von »Offenen
Ganztagsschulen« in NRW, die nun in Bochum enstehen. Durch die
Auflösung eines städtischen Kinderhortes und die Eingliederung von
zwei Schulkinderhäusern in die Offene Ganztagsschule hofft die Stadt etwa
180000 Euro jährlich einzusparen. Die offiziellen Beteuerungen, daß
hierbei reguläre Beschäftigungsverhältnisse nicht durch
Ein-Euro-Jobs ersetzt würden, hält Günter Gleising, Sprecher der
Ratsgruppe der Sozialen Liste Bochum, für nicht glaubwürdig. Er
erklärte gegenüber jW: »Auch wenn niemand aktuell entlassen wird,
durch die Schließung der Kinderhäuser und des städtischen
Kinderhortes werden qualifizierte Arbeitsplätze vernichtet. Überhaupt
erscheint das Projekt Ganztagsschule nur realisierbar durch den massiven Einsatz
von Ein-Euro-Jobs.« ----------------------- Adresse:
http://www.jungewelt.de/2005/03-30/016.php
Posted: Mi - März 30, 2005 at 08:22 vorm.
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