junge Welt vom 28.07.2004
ConsumentenBund Köln sieht
in »Hartz IV« einen massiven Angriff auf die
PrivatsphäreUlla JelpkeDer
Datenschutz wird
nicht nur durch polizeiliche Maßnahmen wie den großen Lauschangriff
bedroht, sondern immer mehr durch die Bürokratie. Für Aufregung
sorgten am Wochenende beispielsweise neue Formulare für Krankentransporte
im Taxi. Da im Rahmen der Gesundheits»reform« Krankenfahrten nur noch
in bestimmten Fällen übernommen werden, sollten Ärzte auf den
Taxifahrscheinen ihrer Patienten die Krankheitsdiagnose vermerken. Aufgrund der
öffentlichen Kritik kündigte Gesundheitsministerin Ulla Schmidt (SPD)
eine Änderung dieser Praxis an.
Viel stärkere Eingriffe in
die Privatsphäre drohen jedoch durch »Hartz IV«. Deshalb hat das
Wuppertaler
Sozialforum am Freitag in einer
publikumswirksamen Aktion vor dem
örtlichen Arbeitsamt dazu aufgerufen,
die Fragebögen vorerst nicht
auszufüllen. Niemand habe dadurch einen Nachteil. Denn wer bis zum
1.1.2005 seinen Antrag abgebe, behalte den vollen Anspruch auf das
Arbeitslosengeld II. Eine Verzögerung der Datenerhebung könne
politischen Druck erzeugen. Das Forum forderte die Bundesregierung auf, die
unzulässige
Datenerhebung sofort zu stoppen. Zudem wird in einer
Fragebogenaktion die Kompetenz der Mitarbeiter der Wuppertaler Arbeitsagentur
hinterfragt.
Es geht bei der Kritik um viel mehr als um die Mühe und
Umständlichkeit, einen umfangreichen Fragebogen auszufüllen. Die
Auswirkungen von »Hartz IV« gehen viel weiter.
Die Umsetzung von
»Hartz IV« bedeutet die strukturelle, systematische und
institutionalisierte Aufhebung des Rechtes auf informationelle Selbstbestimmung
von vielen Millionen von Menschen. Bislang gibt es eine weitgehende Trennung
von Arbeit und Privatleben. Der Bereich Arbeit ist fremdbestimmt und unterliegt
dem Direktionsrecht des Unternehmers. Der Privatbereich ist weitgehend
selbstbestimmt. Den Unternehmer hat das nicht zu interessieren.
Diese
Trennung spiegelt sich auch in der Struktur der Behörden und Verwaltungen
wider. Für den Bereich »Arbeit« ist die Arbeitsagentur als
Bundesbehörde zuständig, für den Bereich »Wohnen« sind
es die kommunalen Wohngeldämter oder im Bedarfsfalle die Sozialämter.
Diese Behörden haben bisher vollständig voneinander unabhängig
organisierte und im Regelfall auch nicht verknüpfte Datenbestände.
Dies war eine gewisse Garantie für das Recht auf informationelle
Selbstbestimmung.
Mit »Hartz IV« laufen künftig
alle Daten einer Person bei einer Stelle zusammen: über Partnerschaften
oder sexuelle Vorlieben, über berufliche Qualifizierung oder berufliche
Probleme, Daten sensibelster Art aus allen Lebensbereichen. Der
»Fallmanager« weiß alles und wertet die Daten unter dem
Gesichtspunkt möglicher Kosteneinsparungen zu Lasten des Betroffenen aus.
»Hartz IV« ist somit eine Bedrohung für die demokratischen
Freiheitsrechte.Ein konkretes Beispiel: Wenn ein Bezieher von
ALG II eine Wohnung mietet, erhält künftig der Vermieter
grundsätzlich davon Kenntnis, daß der Mieter arbeitslos ist. Eine
solche Information eröffnet dem Vermieter in dem häufig ohnehin
konfliktträchtigen Mietverhältnis naturgemäß
Diskriminierungs- und Benachteiligungsmöglichkeiten.
Zweites
Beispiel: »Hartz IV« greift massiv in den Intimbereich ein. Es werden
penibel Daten erhoben und über Jahre gespeichert, wer mit wem zusammenlebt.
Ziel ist, mit den sogenannten Bedarfsgemeinschaften die Haftung der Mitbewohner
zu verschärfen.
Daher fordert der ConsumentenBund e.v. –
Bund umweltbewußter Verbraucher, daß die Datenschutzbeauftragten des
Bundes und Länder in klarer Form und sehr entschieden gegen »Hartz
IV« Stellung beziehen.
Der
ConsumentenBund betont in einer Erklärung vom 25. Juli 2004
: »Bei Hartz IV geht es nicht nur um die
schlechte Formulierung eines Formulars, sondern Hartz IV bedeutet von seiner
ganzen Struktur her die Entziehung des Rechtes auf informationelle
Selbstbestimmung bei einem beträchtlichen Teil der Bevölkerung;
potentiell bei den 90 Prozent der Bevölkerung, die abhängig
beschäftigt sind.«
Tatsache ist und bleibt, daß
»Hartz IV« alle Arbeiter und Angestellten treffen kann, auch solche,
die über viele Jahre hin hohe Beiträge an die Arbeitslosenversicherung
gezahlt haben. »Hartz IV« bringt die Kürzung der Bezugsdauer von
Arbeitslosengeld und bedeutet die Enteignung der mühsam angesparten
Alterssicherung. Weil so viele Menschen betroffen sind, werden in wenigen Jahren
mindestens zehn Millionen Datenbestände angesammelt sein. Dies hat eine
ganz andere Dimension als die für 1987 geplante Volkszählung. Diese
ist am Widerstand der Bevölkerung und am Urteil des
Bundesverfassungsgerichtes zur informationellen Selbstbestimmung
gescheitert.
Der ConsumentenBund fordert daher eine breite
Widerstandsbewegung, die mit guten Argumenten durchaus Aussichten hätte,
»Hartz IV« zu kippen.
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