taz NRW Nr. 7898 vom 15.2.2006, Seite 3, 101 Kommentar SIMON
LENARTZ, Kolumne
"Gegen Gewalt und für Verständigung
an unseren Schulen". Mit diesem Slogan wirbt der Lions-Club Bochum-Kemnade
für ein Wohltätigkeitskonzert, das morgen Abend im Bochumer
Ruhrcongress stattfindet. Mit Jazzklängen und Märschen wird das dritte
Musikcorps der Luftwaffe für eine Aktion werben, mit der die
Pausenhöfe an Bochums Grundschulen friedlicher werden sollen. "An unseren
problembehafteten Schulen ist es nicht selten, dass Schüler aus über
30 Nationen zusammentreffen. Durch fehlende Verständigung und Vertrauen
führt dies zu Konflikten, die oft durch Gewaltaktionen in den Klassen und
auf den Schulhöfen ausgetragen werden", heißt es in dem Faltblatt des
Lions-Club, das das Jugendamt der Stadt an zahlreichen Bochumer Schulen verteilt
hat und das farbenfroh in schwarz, rot und gold gestaltet ist.
15 Euro kostet der Eintritt für das Wohltätigkeitskonzert. Der
Erlös geht an die Yehudi Menuhin-Stiftung "MUS-E", deren Ziel die soziale
und künstlerische Erziehung von Kindern ist. Und dass Musik und Kunst die
Gewaltbereitschaft senkt, davon sind Lions-Club-Mitglieder in Bochum
überzeugt. Warum für diesen wohltätigen Zweck ausgerechnet die
Bundeswehr eingeladen wurde, fragen sich in Bochum nur einige
wenige.
Reinhard Wegener vom Friedensplenum Bochum etwa findet es
"skurril, die Bundeswehr als pädagogische Instanz gegen Gewalt an
Grundschulen heranzuziehen. Das verbietet sich eigentlich von selbst", sagt
er.
Mit Unverständnis reagierte Heinrich Hölting,
Präsident des Lions-Club, auf die Vorwürfe. Er meint, dass die
Bundeswehr für den Frieden und nicht für den Krieg stehe. "Die
Bundeswehr hat in meinen Augen eine Polizeifunktion", sagt Hölting. "Das
ist mehr oder weniger Verteidigung." Dass er mit dieser
"Mehr-oder-weniger-Polizeifunktion"-Ansicht nicht allein steht, beweise auch das
Verhalten der Bochumer Schulverwaltung, sagt Reinhard Wegener. Die hält
weiterhin an dem Projekt fest und unterstützt das MUS-E-Projekt. "Ich kann
die Aufregung nicht nachvollziehen", sagte der Pressesprecher der
Stadtverwaltung. Ob und wer von den Faltblättern gewusst hatte, konnte die
Verwaltung bis zum Redaktionsschluss nicht genau sagen.
Die
weitgehend unkritische Haltung gegenüber der Bundeswehr hat laut Reinhard
Wegener in Bochum Tradition. Bereits im September des vergangenen Jahres hatte
die Schulverwaltung der Bundeswehr bei ihrem 50. Jubiläum den Rücken
gestärkt, hatte einer Militärparade zugestimmt, hatte sogar Pläne
gehabt, auf einigen Schulhöfen Panzer aufzustellen. Das passierte nicht,
wohl auch aufgrund der öffentlichen Proteste.
Dieses Mal sind
die Proteste allerdings leiser. Nur das Bochumer Friedensplenum hat sich im
Internet gegen das Konzert gewandt. Reinhard Wegener ist der festen
Überzeugung, dass der Militäreinsatz für den guten Zweck eine
reine PR-Aktion der Bundeswehr ist. Die Schulverwaltung mache Werbung für
die Armee. Er findet es auffällig und skandalös, dass es keinen
Zweifel an den Absichten der Bundeswehr gebe.
Quelle:
taz