ngo-online/16.02.2005 - Der Film "Edelweißpiraten" über eine
Gruppe jugendlicher Widerstandskämpfer in Köln im Herbst 1944 ist in
den ersten Tagen der Berlinale in sechs Länder verkauft worden. In
Deutschland hat sich für den Film noch keinen Kinoverleih gefunden. Das
Werk, für den Niko von Glasow Regie führte, wird demnächst in den
Niederlanden, Kanada, Belgien, Spanien, Luxemburg und Thailand zu sehen sein,
wie die Palladio Film in Köln am Dienstag mitteilte. Der kanadische
Weltvertrieb Cinemavault stehe außerdem vor Abschlüssen mit Verleihern
aus Skandinavien, Brasilien und den USA. Die "Edelweißpiraten" liebten die
Freiheit, lehnten die Militarisierung und den Krieg ab, versteckten Juden,
versorgten Zwangsarbeiter mit Nahrung, planten ein Attentat, wurden verhaftet,
brutal gefoltert und hingerichtet. Das jüngste Opfer war 16 Jahre
alt.
Die Nazis bezeichneten lose Gruppierungen von Jugendlichen aus der
Wandervogelbewegung als "wilde Jugendgruppen". Der Begriff
"Edelweißpiraten" setzte sich vornehmlich für Jugendgruppen aus dem
rheinisch-westfälischen Industriegebiet durch, die ab 1941/42
verstärkt auftraten. Dabei handelte es sich um mehrere tausend Jugendliche,
die in der Regel aus dem Arbeitermilieu stammten. In kleineren Gruppen trafen
sie sich regelmäßig außerhalb der Hitler-Jugend (HJ) in
bestimmten Parks oder Stadtvierteln.
Nach ihrem Erkennungszeichen -
einer Edelweißanstecknadel - wurden die verschiedenen "wilde Cliquen"
offenbar von den Nationalsozialisten als "Edelweißpiraten" bezeichnet. Die
Mitglieder dieser subkulturellen Jugendgruppen nannten sich selbst "Navajos"
(Köln), "Fahrtenjungs" (Düsseldorf), "Ruhrpiraten" oder "Meuten"
(Leipzig).
Freiheit statt Zwangscharakter, Drill und
MilitarisierungSie verbrachten zusammen ihre Freizeit
beispielsweise bei gemeinsamen Zeltlagern in der Natur. Ihre Haltung
gegenüber dem Regime war von wenigen Ausnahmen abgesehen unpolitisch. Im
wesentlichen ging es ihnen - wie auch der "Swingjugend" - um die Schaffung eines
Freiraums, der es erlaubte, eine eigene Jugendkultur und Identität
auszuleben. Erst die Verfolgung durch staatliche Organe wie die Geheime
Staatspolizei (Gestapo) drängte einzelne Gruppen in eine Protesthaltung und
verursachte eine gewisse Politisierung.
Vom NS-Regime als
"verlottert", "sittlich verwahrlost" und "kriminell" bezeichnet, lehnten sie vor
allem den während des Zweiten Weltkriegs zunehmenden Zwangscharakter, den
Drill und die wachsende Militarisierung der HJ ab.
Von der
einheitlich uniformierten HJ hoben sich die "Edelweißpiraten" durch eine
eigene Kluft - oft Skihemden, Wanderschuhe, Halstuch und kurze Lederhosen - ab.
Auf ihren Wochenendausflügen, Fahrten und Wanderungen in das Umland der
Großstädte kam es nicht selten zu handgreiflichen Auseinandersetzungen
mit der HJ. Im Unterschied zu der strengen geschlechtlichen Trennung in Schule
und HJ gingen bei den "Edelweißpiraten" Jungen und Mädchen gemeinsam
auf Fahrt.
Sie versteckten Deserteure und verübten Attentate
auf NS-FunktionäreDie Nazis versuchten dem ein Ende zu
bereiten. Jugendliche sollten zur besseren politischen Indoktrination
möglichst alle in die Hitlerjugendbewegung gepresst werden. Mit steigendem
Druck des Naziapparats und Verboten freier Organisationen wuchs der Widerstand.
Am Anfang standen Schlägereien mit der verfeindeten HJ, später
entwickelte sich militanter Widerstand. Sie versteckten Deserteure,
Kriegsgefangene und Juden. Später verübten Edelweißpiraten
Attentate auf NS-Funktionäre.
Eine der radikalen Gemeinschaften
war die "Ehrenfelder Gruppe", benannt nach dem gleichnamigen Kölner
Stadtteil. 1944 wurden 13 Edelweißpiraten von den Nazi-Machthabern in
Köln-Ehrenfeld hingerichtet. Sie wurden erhängt. Bartholomäus
Schink, das jüngste Opfer, war gerade mal 16 Jahre alt.
Der
Kölner "Proletarische Widerstand" versteckte Juden und versorgte
Zwangsarbeiter mit NahrungWährend der etablierte, adelige
Widerstand in Deutschland schon frühzeitig gewürdigt wurde, musste der
Kölner Widerstand fast sechzig Jahre auf die Anerkennung als
Widerstandskämpfer gegen das NS-Regime warten. Die Widergutmachungsstelle
in der Bezirksregierung Köln hatte nach dem Krieg Aussagen der Gestapo
höher bewertet, als die von Verfolgten. Erst im Jahr 2003 hat der
Kölner Regierungspräsident Jürgen Roters die Mitglieder der
Edelweißpiraten als Widerstandskämpfer
gewürdigt.
Roters betonte, dass es sich bei den vom NS-Regime
Verfolgten nicht um Kriminelle gehandelt habe, sondern um politisch Verfolgte
und Widerstandskämpfer. Gegenüber wdr.de sagte Roters, dass es wichtig
sei, diese Gruppe des proletarischen Widerstands zu rehabilitieren. Und Roters
weiter: Es müsse den Umständen Rechnung getragen werden, unter denen
die Edelweißpiraten dafür gesorgt hätten, dass Juden versteckt
wurden und Zwangsarbeiter Nahrung bekamen.
Der Film: Beratung
durch einen Überlebenden der GruppeEin Überlebender
der Kölner Gruppe, Jean Jülich, beriet die Filmleute. Sie waren keine
Helden, so Jülich, sondern Jugendliche, die sich ihr Handeln und Denken
nicht vorschreiben lassen wollten. Doch in der Zeit der Diktatur ist jede Form
von Protest gefährlich. 1944 wurde Jülich inhaftiert. Nach der
Befreiung 1945 gelang es ihm, die schrecklichen Erfahrungen zu
verarbeiten.
Der Film entstand frei nach tatsächlichen
Ereignissen in Köln-Ehrenfeld im Herbst 1944: Köln, kurz vor Ende des
Zweiten Weltkriegs. Die Stadt ist eine Trümmerwüste. Alle haben Angst,
viele sind tot, die Unmenschlichkeit regiert.
Die jungen
Edelweißpiraten in Köln verweigern sich den Nazis. Sie prügeln
sich mit der HJ, schmieren Antikriegsparolen an die Wände. Karl ist
Edelweißpirat, sein jüngerer Bruder Peter bei der HJ. Sie leben
allein, ihre Mutter wurde bei einem Bombenangriff getötet, der Vater ist an
der Front, der ältere Bruder Otto gefallen. Dessen Verlobte Cilly versucht,
ihre Kinder durch den Krieg zu bringen, und Karl will ihr helfen. Bei ihr
verbergen die Edelweißpiraten den verletzten KZ-Flüchtling Hans, in
den Cilly sich verliebt. Als der Vater fällt, stößt auch Peter zu
ihnen, in Hans findet er sein Idol. Einige der Jugendlichen planen mit Hans ein
Attentat auf die Gestapo, Karl hingegen will nicht mitmachen. Die Pläne
fliegen bei einer Razzia auf, nachdem der Ortsgruppenleiter erschossen wurde.
Die Gestapo stürmt das Haus und findet zwei Jüdinnen und das
Waffenlager. Cillys Befreiung scheitert, die meisten Edelweißpiraten werden
gefasst.
Karl will Peter retten und verrät ihn… aus Liebe.
Sie werden brutal gefoltert. Doch Peter will Hans nicht im Stich lassen, bis zum
bitteren Ende. Denn Edelweißpiraten sind treu.
Regisseur Niko
von Glasow: "Die Ereignisse, die im Film erzählt werden, haben
stattgefunden, aber die Wirklichkeit war noch viel verrückter und
komplexer. Wir haben einige Charaktere vermischt und einigen neue Namen gegeben.
Aber Spielfilme müssen keine historische Wahrheit erzählen. Wichtiger
war uns, dass der Film das für uns lebendig macht, was unsere Eltern und
Großeltern erlebt haben."
http://www.ngo-online.de/ganze_nachricht.php4?Nr=10451