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Den Erfolg nutzen - Das Scheitern des EU-Verfassungsvertrags
eröffnet die Möglichkeit für eine andere Politik
junge Welt vom 03.06.2005 Kommentar - Tobias
Pflüger* Nach dem deutlichen Scheitern des
EU-Verfassungsvertrages in Frankreich und den Niederlanden machen hilflose
Erklärungsversuche die Runde. Kommissionspräsident Barroso sprach von
widersprüchlichen Zielen der französischen und niederländischen
Gegner des EU-Verfassungsvertrags. Ein »Bündnis von Ängsten«
habe zu der Ablehnung beigetragen. Barroso warnte vor
»Schuldzuweisungen«. Der Vorsitzende des Auswärtigen Ausschusses
des Europäischen Parlaments, Elmar Brok, konstatierte das »Versagen
der politischen Klasse.« Den Verfassungsbefürwortern sei es nicht
gelungen, den Menschen die Vorteile des Vertragsvertrags klarzumachen. Auf den
ersten Blick erscheint die politische Klasse orientierungs- und ratlos:
»Keiner kann jetzt genau sagen, wie es weitergeht«, äußerte
sich EU-Kommissar Günter Verheugen (SPD). Gleichzeitig beeilte er sich
aber, das Abstimmungsergebnis als einen »Unfall« zu bezeichnen, den es
nun zu korrigieren gelte.
Zwar hat das imperiale Projekt der EU-Strategen einen schweren
Dämpfer erhalten, gerade deshalb suchen sie aber augenblicklich fieberhaft
nach Möglichkeiten, soviel wie nur möglich von den Teilen des
Verfassungsvertrages zu retten, mit dem die Militarisierung der EU
festgeschrieben werden sollte. Obwohl noch keine endgültige Entscheidung
getroffen worden ist, zeichnen sich erste Konturen und Optionen eines »Plan
B« ab, die beim EU-Gipfeltreffen am 16. und 17. Juni in Brüssel
präzisiert werden sollen. Demgegenüber bietet das Scheitern aber auch
die Möglichkeit für die Linke, nun noch offensiver in die Debatte um
die Zukunft der Europäischen Union einzusteigen.
Nach dem Nein
in Frankreich und in den Niederlanden ist ein für den EU-Verfassungsvertrag
positives Votum in Großbritannien nahezu ausgeschlossen. Die
Wahrscheinlichkeit, daß in Dänemark, Irland, Tschechien oder Polen der
EU-Verfassungsvertrag bei den dortigen Referenden eine Mehrheit bekommt wird
immer geringer. Doch die Regierenden wollen ganz nach dem Motto »business
as usual« weitermachen: »Der Ratifikationsprozeß in den
Mitgliedstaaten muß weitergehen«, forderte Bundeskanzler Gerhard
Schröder ebenso wie Barroso und andere. Gleichzeitig wurde eine
Neuverhandlung des Vertrages ausschlossen. So wird Unmut unter der
Bevölkerung geschürt.
Es ist bemerkenswert, daß
unisono von den neuen sozialen Bewegungen bis zum DGB das Ergebnis als Forderung
nach einem sozialeren Europa interpretiert wird. Alle Umfragen in Frankreich
über die Hauptmotivation des Nein bestätigen diese Sichtweise klar.
Das bedeutet, daß jetzt der Kampf gegen Neoliberale und Europa-Ideologen um
einen anderen Verfassungsvertrag begonnen werden muß. Diese
Auseinandersetzung muß von links offensiv mit eigenen Eckpunkten für
einen anderen Verfassungsvertrag angegangen werden. Ein kompletter Gegenentwurf
macht keinen Sinn, da es über die konkreten Zuständigkeiten der
verschiedenen EU-Institutionen und bezüglich detaillierter Regelungen in
einem möglichen zukünftigen EU-Verfassungsvertrag in der Linken, der
Friedensbewegung und der globalisierungskritischen Bewegung sehr
unterschiedliche Auffassungen gibt. Die Verständigung auf Grundsätze
ist hier eine gute Möglichkeit, doch Einigung zu erzielen.
Die
Ablehnungen müssen nun auch inhaltlich Ernst genommen werden, das gilt auch
für die Militarisierung der Europäischen Union, sie verliert mit den
Ergebnissen der Referenden in Frankreich und den Niederlanden ihre Grundlage.
Genau die inhaltliche Kritik, die wir am Verfassungsvertrag geübt haben
(neoliberale Wirtschaftspolitik, Militarisierung und inhaltsleere
Grundrechtscharta), müssen wir nun vertiefen. Die Politik der EU
insbesondere in diesen Bereichen muß nun auch von den sozialen Bewegungen
stärker in den Blick genommen werden. Dies gilt insbesondere auf
militär- und außenpolitischem Gebiet.
Mit der Absage an die
Strategen der EU und an diesen EU-Verfassungsvertrags ist damit auch jede
vertragliche Übereinkunft zur EU-Militarisierung gescheitert. Daraus folgt
nicht nur, daß dieser Prozeß sofort zu stoppen ist, sondern vielmehr,
daß die konkreten Schritte zur Militarisierung, die im Vorgriff auf den
Verfassungsvertrag bereits umgesetzt oder eingeleitet wurden, nun
zurückgenommen werden müssen.
Dies gilt es nun in den
Mittelpunkt der kommenden Kampagnen der Friedensbewegung zu stellen. Was die
Staats- und Regierungschefs unter sich auf den EU-Gipfeln vereinbart haben,
muß nach dem Scheitern des EU-Verfassungsvertrages zugunsten einer zivilen
EU zurückgenommen werden.
Das Scheitern des
EU-Verfassungsvertrags eröffnet die Möglichkeit für eine andere
Politik. Dies gilt insbesondere für den Bereich der Militär- und
Außenpolitik. Es wird jetzt darum gehen, die aus der Kritik am
EU-Verfassungsvertrag gewonnenen Punkte in konkrete Kampagnen gegen die
EU-Militarisierung umzusetzen. Das man hierbei die politische Klasse,
Militärs und Kapital als Gegner und große Teil der Bevölkerung
als mögliche Verbündete hat, sollte als Ansporn begriffen werden, um
die versteinerten Verhältnisse der EU-Militarisierung zum Tanzen zu
bringen.
* Tobias Pflüger ist Abgeordneter des
Europaparlaments ----------------------- Adresse:
http://www.jungewelt.de/2005/06-03/002.php
Posted: Fr - Juni 3, 2005 at 09:51 vorm.
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