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Druckempfindlich - Minirückzieher in Brüssel
junge Welt vom 24.03.2005 - Kommentar - Wolfgang
Pomrehn
Glaubt man dem Rauschen im Blätterwald, dann spricht
der Europäische Rat, gebildet von EU-Staats- und Regierungschefs, derzeit
in Brüssel über ernsthafte Korrekturen am Entwurf der
Dienstleistungsrichtlinie, dem sogenannten Bolkestein-Hammer. Sozialdumping
wolle man auf jeden Fall vermeiden, heißt es.
Sollte also der
Protest von Gewerkschaften und Globalisierungskritikern sein Ziel erreicht
haben? Noch lange nicht. Die Financial Times Deutschland jammerte zwar, der
Lissabon-Prozeß, also der EU-Zehnjahresplan für Lohnraub,
Liberalisierung und Profitmaximierung, werde verwässert. Doch davon kann
bisher nicht die Rede sein. Der Entwurf befindet sich im
EU-Gesetzgebungsverfahren und wird nicht zurückgezogen. Auf diese
Feststellung legte die Brüsseler Kommission trotz aller demagogischen
Nebelgranaten Wert. Mit anderen Worten – der EU-Gipfel wird in sein
Abschlußkommuniqué einige unverbindliche Erklärungen
einfügen, die eventuell in spätere Änderungen der Richtlinie
Eingang finden. Oder auch nicht.
Die bisherigen Äußerungen lassen befürchten, daß
auch diese Absichtserklärungen nicht sehr weit gehen werden. Zumal
Sozialdumping nur einer von vielen gravierenden Kritikpunkten am Entwurf der
Richtlinie ist. Man sollte sich vergegenwärtigen, daß ein großer
Teil der wirtschaftlichen Aktivitäten heute als Dienstleistung bezeichnet
und daher von der geplanten Liberalisierung betroffen sein wird. Unter anderem
auch Dinge wie kommunale Wasserversorgung und Verkehrsbetriebe. Mit der
Richtlinie soll ein Zwang zur Ausschreibung auch für diese Bereiche
eingeführt werden, womit ein erheblicher Privatisierungsdruck
entstünde. Die geplante Verordnung ist also ein wichtiger Hebel, um auch
die letzten Bereiche der öffentlichen Daseinsvorsorge den Marktmechanismen
zu unterwerfen und der kommunalen Kontrolle zu entziehen. Unter anderem deshalb
können sich Gewerkschaften und soziale Bewegungen unmöglich mit
einigen kosmetischen Korrekturen an diesem Papier zufrieden
geben.
Eine Siegesfeier ist also verfrüht, aber von einem
kleinen Achtungserfolg kann man schon reden. Immerhin zeigt sich, daß die
regierenden Eliten durchaus druckempfindlich sind. In Frankreich steht die
Zustimmung des Wahlvolks zur EU-Verfassung auf der Kippe, und daher sind
Rücksichten auf die dortige Arbeiterbewegung angesagt. Die hatte sich in
letzter Zeit mal wieder lautstark Gehör verschafft. Wer also künftig
ein bißchen mehr Sand ins Getriebe der Liberalisierungsdampfwalze streuen
will, sollte vielleicht Französisch lernen. -----------------------
Adresse: http://www.jungewelt.de/2005/03-24/002.php
Posted: Do - März 24, 2005 at 11:41 vorm.
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